16. Juni 1976
Hubert Fichte: Was ist deine liebste Farbe?
Papisto Boy: Ich habe die Farbe des Sonnenaufgangs gerne und das Gelb und das Weiß auch und ein bißchen auch das Blau.
– Mit was für Farben malst du an der Mauer?
– Das sind Farben, die ich selbst am Rand des Wassers gefunden habe. Das Schwarz ist Holzkohle. Das Weiß ist Kalkstein. Das Gelb ist auch Kalkstein. Das Rot auch. Das Chocolat ist auch ein Stein. Ich habe auch einen violetten Stein.
– Welches war dein erstes Bild?
– Eine hübsche Dame, die Mariana hieß.
– Da wo jetzt Mami Wata ist?
– Ja.
– In welchem Jahr war das?
– Ungefähr 1971.
– In welchem Monat?
– Im Januar.
– Wie viele Bilder hast du im ersten Jahr an die Mauer gemalt?
– Siebzig. Ich hatte Masken gemalt. Deshalb waren es so viele, Bobo-Masken, Woloff-Masken, Toucouleur-Masken, Sarakole-Masken, Masken der Lebou, der Serer, Masken, die viel vom Stamm der Laobé erzählten. Das sind fast Toucouleur – aber die Laobé sind Künstler.
Da war auch ein Portrait von Papst Paul, dem VI. Und das Portrait des Präsidenten Georges Pompidou und einige kubanische Portraits, Castro und . . .
– Ché Guevara?
– Ché Guevara, die beiden.
– Als die Regenzeit kam, wurden die Malereien ausgelöscht.
– Ja.
– Wann kam der Regen?
– Juni, Juli, August, September, Oktober, November – bis Ende November, Dezember, Januar fing ich wieder an zu arbeiten. Dies Jahr malte ich viele Bilder, die auch von Afrika erzählten.
Märchen und Legenden. Diabaline Khaf. Ouran Khan Kharang. Die Rhab. Die Xamb auch. Das N’Doep. Während der Regenzeit arbeite ich nicht, denn mit dem Regen geht alles dahin. In der Regenzeit fahre ich fischen. Im Januar fange ich wieder an zu arbeiten.
– Was hast du im dritten Jahr gemalt?
– Ich habe wieder Bilder gemalt, die vom Senegal erzählen. Lat Dior. Albouri N’Dyaye. Bourbour N’Diof. Das sind große senegalesische Krieger, die uns große Taten erzählen.
– Auch Europäer?
– Ja. Den General de Gaulle und Ché Guevara wieder.
– Dann kam der Regen.
– Ich fuhr fischen. Manchmal arbeite ich auch auf dem Lande. In der Nähe des Strandes, bei einem Großvater, den ich zufällig kennengelernt habe. Er ist sehr nett.
– Wirst du entlohnt?
– Nein. Er gibt mir kein Geld.
– Wenn du fischen fährst, verdienst du etwas?
– Wir teilen in fünf Teile . . . Das gibt ungefähr 550 Francs Cefa täglich.
– Was hast du das nächste Jahr gearbeitet?
– Bilder von Senegal und von Afrika.
– Auch Weiße?
– Ich habe Mao gemalt.
– Sind die Bilder von diesem Jahr die besten?
– Ich glaube schon.
– Was ißt du am liebsten?
– Couscous und Sanglé.
– Was ist das?
– Eine Art Bouillon. Mit Hirse. Mit Hirsemehl.
– Welche Soße hast du am liebsten zum Couscous?
– Bassé-Soße. Sie wird aus Erdnüssen zubereitet, mit Räucherfisch und Kräutern. Das ist sehr, sehr gut.
– Deine Bekannte hier macht das?
– Ja.
– Sie ist verheiratet?
– Ja.
– Ist sie deine Freundin?
– Nein. Sie liebt mich wie ihren Sohn.
– Was bezahlst du ihr für jede Mahlzeit?
– 100 Francs Cefa. 300 Cefa am Tag. Aber jetzt habe ich 7000 Francs Schulden bei ihr.
– Was trinkst du am liebsten?
– Coca Cola.
– Was ist dir das Liebste auf der Welt?
– In meiner Kunst weiterzumachen. Gut zu arbeiten. Gute Inspiration zu haben.
– Und als Nächstes?
– Ich möchte gerne ein kleines Haus haben.
– Und dann?
– Ein Motorrad. Kein großes Motorrad, sondern ein kleines Motorrad.
– Und dann?
– Eine einzige Frau.
– Warum nennst du dich Papisto Boy?
– Ich heiße Pap Samb. Aber es gibt viele Maler, die Pap heißen. Ich habe also meinen Namen in Papisto verwandelt.
– Und woher hattest du die Idee, dich “Boy” zu nennen?
– Das war meine Idee, denn ich bin jung.
– Wie wird die Milch im N’Doep verwendet?
– Einmal in der Woche wird Milch über das Xamb gegossen. Immer am Freitag. Am Freitag gießt man die Milch über die Hörner. Man nimmt Cola-Nuß, aber weiße Cola-Nuß, man kaut sie gut und spuckt sie über die Kauris des Altars. Man holt ein Tier und schlachtet es. Ein Schaf oder ein Rind, aber schwarz – oder ein Huhn, aber auch ein Huhn mit schwarzen Federn. Man gießt das Blut über die Hörner, man sagt auch einige Gesänge, Strophen des N’Doep und man bittet die Rhab, einen gut durchs Leben zu geleiten.
– Was für Milch nimmt man?
– Saure Milch.
– Wird Milch auch noch bei anderen Zeremonien verwendet?
– Als Almosen.
– Wie?
– Zum Beispiel, wenn man im Schlaf träumt, und man sieht einen Freund, der einen wirklich sehr schätzt, und man sieht, daß er Milch trinkt, dann kauft man morgens, wenn man aufgestanden ist, Milch und gibt sie den Bettlern.
– Wäscht man sich auch mit Milch?
– Man wäscht sich auch mit Milch.
– Bei welcher Gelegenheit?
– Um den Körper zu reinigen. Der Marabout schreibt das vor.
– Nicht der N’Doepkat?
– Der N’Doepkat gibt auch Milch, aber nur montags.
– Und der Marabout?
– Mittwochs, freitags . . . mittwochs, donnerstags, freitags, sonnabends, um den Körper zu reinigen, daß die Rhab uns kein Übel antun.
– Was für Milch?
– Süßmilch. Kuhmilch. Sie wird am Montag geholt.
– Die Milch kann von jeder Kuh genommen werden?
– Von jeder Kuh, die nur einmal gekalbt hat.
– Wie alt muß ein Kalb sein?
– Zwei Monate.
– Man nimmt also nicht die gelbe Milch?
– Nein.
– Wenn der N’Doepkat die Milch auf die Kranken spuckt, was ist das für welche?
– Süßmilch.
– Aber ich habe gesehen, daß er saure Milch nimmt.
– Man kann auch saure Milch nehmen.
– Wann bist du hierher zu den Fischern gezogen?
– Mit neun Jahren.
– Mit neun hast du deine Eltern verlassen?
– Mit dreizehn. Als meine Eltern geschieden wurden. Die Fischer haben mir Unterkunft gegeben und Essen und Trinken.
– Wie hast du den Polizeikommissar kennengelernt?
– Am Strand. Er malte ein Boot. Er besaß ein Boot. Dann habe ich für ihn gearbeitet. Er war sehr zufrieden mit mir. Er sagte, er würde sich mein ganzes Leben lang um mich kümmern.
– Warum hast du ihn verlassen?
– Er hat mir einen Streich gespielt. Er hat mich übers Ohr gehauen.
– Wie?
– Er hatte gesagt, er würde mir ein Haus geben und er würde alle meine Papiere in Ordnung bringen. Ich würde weiter bei ihm arbeiten, aber nach der Arbeit würde ich in meinem eigenen Haus schlafen.
– Und das hat er nicht gehalten?
– Nein. Vier Jahre lang habe ich für ihn gearbeitet.
– Hat er dich bezahlt?
– Er hat mich nicht bezahlt.
– Als du am Strand lebtest, kümmerte sich seine Familie um dich?
– Ja. Die Familie Njang Njang. Früher machten die mir das Essen. Sie leben jetzt in der Stadt, aber ich lebe lieber am Strand. Eine Zeit lang lebte ich mit ihnen in der Stadt, aber ich fand, die Stadt ist nicht gut für mich. In der Stadt ist zuviel Lärm. In der Stadt hat man keine Inspirationen. Ich bin lieber auf dem Lande als in der Stadt. Ich bin Bauer. Meine Mutter auch. Sie ist auf dem Lande geboren. Und meine Eltern sind sehr arm, ich will ihnen gerne helfen. Ich bin der einzige Sohn, den mein Vater und meine Mutter gemeinsam haben.
– Dein Vater ist pensioniert.
– Ja. Aber er kriegt kein Geld.
– Und wovon lebt er?
– Er hat Schüler.
– Siehst du ihn oft?
– Ja.
– Er ist nicht mehr böse auf dich?
– Nein. Nein. Nein.
– Als du klein warst, hat er dich viel geschlagen?
– Nein. Nein. Nein. Er sprach mir gut zu. Aber er hat mich geschlagen. Aber nicht viel.
– Womit?
– Mit dem Lederriemen.
– Wirst du deine Kinder auch schlagen?
– Nein. Ich werde freundlich mit ihnen reden. Denn man muß das menschliche Wesen alles ausführen lassen, was es sich vornimmt. Man muß es mit seinen Gedanken in Ruhe lassen.
– Warst du sehr wütend, wenn dich dein Vater schlug?
– Manchmal. Manchmal nicht, denn ich wußte, daß ich Unrecht hatte.
– Hat er dich blutig geschlagen?
– Nein.
– Du hast einen Onkel, der ist Boxer?
– Er ist mein Vater, mein kleiner Vater. Der kleinere Bruder meines Vaters ist Boxer.
– Hast du auch geboxt?
– Früher ja.
– Gern.
– Ich habe Boxen gern.
– Hast du auch Karate gemacht?
– Nein. Nein. Nein.
– Und anderen Sport?
– Auch Ringen.
– Senegalesisches Ringen?
– Ja.
– So wie in Dakar oder wie in der Casamance?
– Wie in Dakar.
– Wo wohnt deine Großmutter jetzt?
– Ich habe eine Großmutter in Pikine und eine auf dem Lande.
– Wie alt ist die auf dem Lande?
– 103 Jahre alt. Sie sieht nicht mehr viel.
– Sie ist N’Doepkat?
– Ja, sie ist Serer.
– Die Mutter deiner Mutter?
– Ja.
– Wann bist du beschnitten worden?
– 57, nein 58.
– Mit sechs Jahren?
– Ja.
– Tut das sehr weh?
– Ja.
– Wo war das?
– In Pikine.
– Im Krankenhaus?
– Auf dem Sanitätsposten.
– Der Schmied?
– Nein, der Doktor.
– Hast du Bonbons bekommen?
– Ja.
– Hast du geschrien?
– Ja.
– Was hast du gedacht, als er mit dem Messer kam?
– Jetzt schneidet er ihn mir ab.
– Ganz?
– Ja.
– Deine Großmutter, die N’Doepkat, was für Krankheiten heilt sie?
– Die Verrückten.
– Was noch?
– Den Bauch, den Husten.
– Für die Verrückten macht sie das N’Doep?
– Ja.
– Versucht sie es bei den Verrückten auch mit Blättern, Wurzeln?
– Nein. Die sind nur für die Kranken.
– Für die Verrückten macht sie nur das N’Doep.
– Ja. Für die, die fallen, Krisen haben, die fallen durch die Rhab.
– Wieviele Frauen hatte dein Vater?
– Zwei.
– Deine ganze Familie sind N’Doepkat?
– Meine Großmutter.
– Sie macht auch das N’Doep – aber nicht oft, denn meine Großmutter ist noch nicht tot.
– Wieviel bezahlt man beim N’Doep für die Griots, die Sänger?
– 5000 Francs Cefa.
– Und für die Frauen, die mit dem N’Doepkat tanzen?
– 8000 Francs Cefa.
– Was kostet das Rind?
– Ein großes 6o ooo Francs Cefa.
– Und ein kleines?
– 4o ooo, 5o ooo.
– Deine Großmutter veranstaltet oft ein N’Doep?
– In der Trockenzeit, ab Januar, macht sie es einmal in der Woche. Jede Woche behandelt sie, aber nur während zweier Monate.
– Sie opfert immer ein Rind.
– Manchmal auch nur ein Schaf.
– Und man wäscht die Kranken mit dem Blut?
– Ja. Man wäscht die Hände mit Blut.
– Wickelt die Großmutter die Eingeweide des Rindes um die Kranke?
– Nein.
– Steckt man die Kranke unter Decken, ehe man sie wäscht?
– Nein. Ehe man sie wäscht, singt man ein Lied, damit sie in Zuckungen fällt.
– Hat man für dich ein N’Doep gemacht?
– Ja. Als ich noch klein war.
– Wie alt?
– Ich habe zweimal ein N’Doep gemacht, um zu . . .
– . . . fallen?
– Ja, um zu fallen.
– Hast du deinen Rhab genannt?
– Hm.
– Du weißt seinen Namen?
– Ja.
– Aber du darfst ihn nicht nennen?
– Nein.
– Was für eine Art Rhab ist es?
– Es ist eine Frau.
– Was verlangt sie von dir?
– Sie verlangt von mir, das Gute zu tun.
– Redet sie von deiner Malerei?
– Sie redet auch viel von meiner Malerei.
– Wer hat dir diesen Rhab vererbt?
– Meine Großmutter, die N’Doepkat ist.
– Welchem Volk gehört dein Rhab an?
– Den Serer.
– Warum soll ein N’Doepkat keine Kinder haben?
– Sie kann Kinder haben. Aber die Kinder würden sich ärgern, weil ihre Mutter N’Doepkat ist.
– Wann fangen die Jungen hier mit den Mädchen an?
– Heute gibt es keine Grenzen mehr. Ich fing mit zwölf an.
– Seit wann wußtest du, was ein Junge mit einem Mädchen macht?
– Seit ich zehn war.
– Wer hat dir das gesagt?
– Ich habe es so gelernt.
– Hast du es gesehen?
– Nein. Die anderen Jungen haben davon geredet.
– Was ist der Unterschied zwischen den Wörtern Gounoung Gana und Gourdiguène?
– Das ist Woloff. Ein Gounoung Gana hat zwei Geschlechter. Das Geschlecht Nummer 1 und das Geschlecht Nummer 2. Aber er benützt nur eins.
– Welches?
– Das weiß man nicht.
– Und Gourdiguène?
– Das sind Männer, die es mit Männern machen.
– Die das Mädchen spielen?
– Nein, die den Jungen spielen.
– Gibt es viele?
– Ja.
– Auch am Strand, wo du wohnst?
– Nein. Aber in St. Louis.
– Gibt es Djinné, die Gourdiguène sind?
– Nein.
– Und die Gounoung Gana sind?
– Nein.
– Gibt es Djinné, die sich von einer Frau in einen Mann verwandeln?
– Ja.
– Welche?
– Sie haben keinen Namen.
– Mami Wata?
– Ja.
– Diabaline Khaf?
– Nein.
– Der König von Goumbée?
– Ja.
– Er wird eine Frau?
– Ja. Er wird die Königin von Goumbée und heißt Sidié.
– Aber sie sind eine einzige Person?
– Ja.
– N’Diggi N’Diggi Liggo verwandelt sich auch?
– Ja. Er war ein Mensch. Aber er war sehr böse. Er glaubte, er sei der Stärkste, er half den anderen nicht. Da hat Gott ihn in das verwandelt, was er jetzt ist.
– Wenn du träumst, träumst du farbig?
– Ja, aber nicht viele Farben?
– Welche?
– Grün, gelb, chocolat, schwarz, weiß.
– Kein Rot?
– Wenig rot.
– Du magst die Gourdiguène nicht?
– Nein.
– Du verabscheust sie?
– Ja.
– Aber wenn Mami Wata dir sagen würde, du müßtest Gourdiguène werden, um malen zu können?
– Dann würde ich Gourdiguène werden. Ich will immer malen. Aber ich mag die Mädchen gerne.
– Du hast es nie mit einem Mann gemacht?
– Nie! Nie! Überhaupt, nie!
– Ist es wichtig nach Mekka zu pilgern?
– Ja , wegen der Eingebungen.
– Ist es schlimm, wenn du nicht hinpilgerst?
– Nein.
– Was ist wichtiger: Die anderen afrikanischen Länder oder Mekka?
– Touba. Die Moschee von Scheich Ahmadou Bamba ist gut.
[S.95-104]