Fichte: Wann bist du geboren? Und wo?

Sandra: Am 6. Mai, also 6. 5. 49 in Bad Driburg, das ist bei Bielefeld.

Fichte: Was ist dein Vater?

Sandra: Der ist Werkzeugmacher.

Fichte: Deine Mutter ist Hausfrau?

Sandra: Ja,sie arbeitet vier Stunden, sie ist Postangestellte.

Fichte: Hast du Geschwister?

Sandra: Ja, drei Jungen.

Fichte: Wie ist das Verhältnis zu deinen Geschwistern?

Sandra: Ach weißt du, der eine ist fünfzehn, wird sechzehn, der andere ist vierzehn, wird fünfzehn, das sind die Jungens, die heranwachsen, der eine, der Vierzehnjährige, der hat sich ein Schlagzeug zur Konfirmation gewünscht, das er auch bekommen hat, und der versteift sich ja nun darauf, daß er irgendwann einmal eine richtige Band aufzieht usw. und der interessiert sich sehr dafür, ich finde das ganz gut, sie vernachlässigen keineswegs ihre Schulaufgaben dadurch. Der Große ist sehr ruhig, der lernt sehr viel, spricht wahnsinnig gut, trotz seiner fünfzehn Jahre, Französisch, ich glaube, daß er es mal irgendwie wahnsinnig schaffen wird, irgendwas zu machen.

Fichte: Wissen deine Brüder, daß du auf den Strich gehst?

Sandra: Nein, nein.

Fichte: Die wissen gar nichts. Aber deine Eltern . .

Sandra: Ja, sie reden aber nicht darüber, also sie würden mich da niemals drauf ansprechen.

Fichte: Hast du noch irgend etwas vom Krieg oder den Hungerjahren mitbekommen, hat man dir davon erzählt?

Sandra: Ja, weißt du, das ist so, mein Vater hat im Krieg ein Bein verloren, und das ist logisch, daß man sich in dem Moment auch damit beschäftigt. Aber daß wir davon großartig irgend etwas davon gemerkt haben, daß viel davon gesprochen wurde, überhaupt nicht, weil, dadurch, weil mein alter Herr im Krieg sein Bein verloren hat, spricht man auch nicht darüber, um nicht immer wieder die Erinnerung wachzurufen. Dann ist mein alter Herr durch den Krieg nach Deutschland gekommen, und das sind alles solche Umstände, um dieses ganze Thema zu übergehen . . Mein alter Herr ist Ungar. Direkt aus Budapest.

Fichte: Und wie verlief deine Kindheit?

Sandra: Du, an sich ganz normal. Ich bin mit sechs Jahren in die Schule gekommen, bin mit fünfzehn aus der Schule raus, habe acht Jahre Schule besucht, habe ein halbes Jahr gearbeitet, hab dann in einer Boutique angefangen, nicht als Lehrling, sondern gleich so, also ich habe ein ziemlich gutes Gehalt bekommen . .

Fichte: Als Verkäuferin?

Sandra: Ja, als Verkäuferin, direkt als Verkäuferin, in Düsseldorf, ja, und bin dann angesprochen worden, ob ich nicht Interesse hätte vorzuführen, hab dann ein halbes Jahr eine Mannequin-Schule besucht, hab das mit Diplom beendet, habe dann eineinhalb Jahre als Mannequin und Fotomodell gearbeitet, in verschiedenen Städten.

Fichte: Da warst du ungefähr siebzehn, achtzehn?

Sandra: Ja, achtzehn.

Fichte: Und dann?

Sandra: Ja, und dann habe ich einen Mann kennengelernt, der wahnsinnig viel Geld hatte, der mich sozusagen davon abgehalten hat, weiter der Modebranche nachzugehen, von dem habe ich alles bekommen, der hat mich sozusagen ausgehalten, und der war krankhaft eifersüchtig, ich war mit ihm ein halbes Jahr zusammen, durfte also nicht alleine ausgehen usw., dann hat mich das also dermaßen genervt, daß ich denke, es geht nicht mehr, ich halte es nicht aus, ich gehe wieder, dann habe ich meine Sachen gepackt und wollte wieder in die Modebranche einsteigen, ich hatte den Anschluß verpaßt. Ich habe durch die Anti-Baby-Pille wahnsinnig zugenommen, also schätzungsweise zwanzig Pfund, bin auseinandergegangen wie ein Hefekuchen, und trotz meiner Größe hat es doch irgendwie etwas zu sagen, also ich konnte schon noch in die Sachen rein, aber es saß alles nicht mehr so, es paßte alles, aber es ging nicht mehr. Ich habe effektiv den Anschluß verpaßt. Wenn du dann gewohnt bist, immer Geld zu haben, dir alles kaufen zu können, was du gerne möchtest, ja nun bin ich auf die Idee gekommen, weil ich zwei, drei Mädchen kennenlernte, die ich in einem sehr witzigen Lokal kennenlernte, und die ganz niedlich waren, überhaupt nicht so die Typen waren, die man sich normalerweise vorstellt, die anschaffen gehen, ich fand die ganz lustig, so wie die rumliefen, die konnten sich alles erlauben, die hatten immer witzige Typen um sich herum, hatten auch beide keinen festen Freund, sondern machten gerade das, was sie wollten, da habe ich mir das so angeguckt, und hab gedacht, Menschenskind, das ist doch keine schlechte Idee, da hab ich mich mit denen angefreundet, hab mich mit denen unterhalten und hab bei mir gedacht, warum nicht.

Fichte: Du wohntest aber immer noch zu Hause?

Sandra: Da wohnte ich zu Hause bei meinen Eltern. Und da hab ich gesagt, warum nicht, da bin ich mit achtzehn, ja da war ich schon achtzehn, da bin ich da hingeturnt in das Café, hab mich da hingesetzt, mit 50 Pfennig in der Tasche, und hab da nun alles auf mich zukommen lassen.

Fichte: Wer war dein erster Freier?

Sandra: Du, das war, wie alt mag er gewesen sein? –vierzig, mit Schnäuzer, ein regelrechter Freier, weißt du, wie man die sich vorstellt. Kam nun zu mir an den Tisch und setzte sich hin, ob er mich einladen dürfe, er wußte nun nicht, weil er mich vorher nie gesehen hatte, ob ich nun anschaffen ginge und so, ja, und ich dann nun sofort gesagt: ja, warum nicht, ganz keß, ich hatte nun keine Ahnung, hatte auch keine Präservative in der Tasche, hatte überhaupt nicht das Herz, in die nächste Drogerie zu gehen, die zu kaufen oder irgendwie jemand zu fragen. Ja, und so weiter, was ist denn los, ja habe ich gesagt, 100 Mark, in welches Hotel gehen wir denn. Weiß ich nicht, hab ich gesagt, ja, dann komm mal mit. Ich mich ins Auto zu ihm gesetzt, wir ins nächste Hotel, er legte mir, hab ich nun gar nicht gefragt, nee, stimmt gar nicht, ich hab gar nichts gesagt von 100 Mark. Quatsch, gar nicht wahr. Er hat überhaupt nicht von Geld gesprochen, ja ich komme mit, er bezahlte das Hotel, ging hoch, er holte Präservative raus, wußte, daß ich noch nie in meinem Leben einen Freier hatte, hat er anschließend gesagt. Er holte die Gummis raus, zog sich aus, machte den Präservativ rüber, ich legte mich hin und hatte keine Ahnung davon, und dachte nun, laß ihn mal machen, bemühte mich da auch keineswegs, ja, und dann anschließend,als er sich dann wieder anzog, legte er mir 100 Mark auf den Tisch und sagte, Menschenskind, wie machst du das eigentlich, bist du wahnsinnig. Ich hatte nun sofort gemerkt, daß du neu bist, und ich habe sofort gemerkt, daß du keine Ahnung hast, jetzt überleg dir mal, du wärst an jemanden anders gekommen, und der hätte das nun mit dir so hopplahopp, der hätte dich nun schön gefickt und hätte dir nun keine Mark gegeben. Denk dran, immer so was mit dir rumzuschleppen, und denk dran, immer das Geld vorher, das fand ich so niedlich von ihm.

Fichte: Hat er nun richtig mit dir losgemacht oder . .

Sandra: Nein, nein . .

Fichte: Da hast du gemerkt, daß du ganz kühl . .

Sandra: Das war vollkommen, das war ganz abgeschaltet, das war bei mir nie so, daß ich mich irgendwie mit jemand befaßte, intim, den ich nicht wahnsinnig gut leiden konnte.

Fichte: Da machst du auch voll los?

Sandra: Wenn ich jemand mag, gerne, ja.

Fichte: Also du bist nicht frigide.

Sandra: Keineswegs.

Fichte: Warum denn bei diesem ersten Freier nicht?

Sandra: Weil ich ja in dem Café saß, mit der Voraussetzung, anzuschaffen,

und weil ich ja nun wußte, instinktiv weiß das jemand,wenn er Geld dafür bekommt, daß er sich nicht hergibt, daß er lediglich nur den Mann zum Spritzen bringt und daß er dafür Geld bekommt, und anschließend ist der Fall erledigt.

Fichte: Das war dir von vornherein klar?

Sandra: Das war mir von vornherein klar. Irgendwie also dumm, von Dummshausen war ich ja nun nicht, dadurch, daß ich in der Modebranche tätig war und auch mit verschiedenen Männern ein intimes Verhältnis hatte, das ist logisch, daß man auch Ahnung hat.

Fichte: Danach bist du aber nicht für Schiebung?

Sandra: Ja, der hat mich noch gefickt, aber ohne Gefühl, wie gesagt.

Fichte: Ganz ohne Gefühl?

Sandra: Ganz ohne Gefühl, vollkommen ohne Gefühl. Ich habe nur immer gehofft, hoffentlich ist er bald fertig, das war das einzige, was mich beschäftigte.

Fichte: Und beim nächsten warst du dann klüger?

Sandra: Beim nächsten war ich klüger, da hab ich lediglich mein Geld vorher verlangt, ihm das Gummi drüber gemacht, und hab nun auch wieder gedacht, hoffentlich ist er bald fertig, und so wurde das von Tag zu Tag immer netter, da fing ich schon an, so ein bißchen zu flirten und bin nun schon drauf zugegangen, ins Café, hab mich daneben hingesetzt, ganz frech.

Fichte: Du wohntest aber noch zu Hause?

Sandra: Wohnte zu der Zeit noch zu Hause, ja, ja.

Fichte: Und warum bist du aus Düsseldorf weg?

Sandra: Du, weil ich das nicht wollte, weil ich dort in Düsseldorf erstensmal meine Familie hab, zweitens mein Privatleben, meine Bekannten, da hat man nicht so gern, wenn die das erfahren, und dann fand ich das auch nicht gerade witzig, da irgendwie, weiß ich nicht, das irgendwie groß an die Glocke hängen, daß ich anschaffen gehe.

Fichte: Hast du dich davor geekelt?

Sandra: Nein, nein, die erste Zeit hast du das Gefühl, Geld, Geld, da ist dir das so egal, das kommt erst nach einer ganzen Zeit, bei mir ist es erst seit einem halben Jahr ungefähr.

Fichte: Und . .

Sandra: Das kommt nur durch die Raucherei, daß ich da so einen wahnsinnigen Haß darauf habe.

Fichte: Durch den Haschisch?

Sandra: Ja. Also ich bin voller Überzeugung, daß es dadurch kommt. Wenn ich geraucht habe, kann mich überhaupt keiner dazu bewegen, mich irgendwie hierherzulocken. Wenn ich geraucht habe, können mich unten auf dem Hof zwanzig Typen ansprechen und mitgehen wollen, da lache ich nur drüber. Das ist so uninteressant für mich in dem Moment, wenn ich irgendwo anders bin und geraucht habe, sagen wir mal bis neun oder halb zehn und denke Menschenskinder, eigentlich müßtest du arbeiten, bringen mich doch keine zehn Pferde hierher.

Fichte: Aber wenn du nun einen Freund triffst, mit dem du nun gerne losmachst, dann gehst du mit ihm?

Sandra: Natürlich, das ist phantastisch, wenn man einen Turn hat. Man geht wesentlich mehr auf, man hat ein ganz anderes Gefühl, man ist wesentlich empfänglicher für alles, und empfindet wesentlich feiner für alles, was mit ihm gemacht wird, sei es nun irgendwie ein Kuß oder so etwas, man empfindet das wesentlich schöner, und wenn man dann zum Höhepunkt kommt und spritzt, das ist also ein Gefühl, was nüchtern überhaupt nicht da ist. Man hat so das Gefühl, man läuft vollkommen aus, so eine Erleichterung, das ist unbeschreiblich, das kann man nicht beschreiben.

Fichte: In Hamburg bist du jetzt eineinhalb Jahre.

Sandra: Ja.

Fichte: Hast du nun irgendwann mal ganz großen Trouble gehabt?

Sandra: Noch nie. Ich halte mich diesen Leuten hier fern also ich kenne sie, das ist logisch, man kennt die Leute, man muß sie kennen, sie akzeptieren mich, sie kennen mich, sie wissen, wie ich darüber denke über die ganze Sache, sie haben natürlich die ersten drei, vier Monate versucht, mich anzumachen, meine Kohlen zu kriegen und so weiter, und ich habe nun ein so großes Maul gehabt, und hab mich nun mittlerweile vollkommen gesträubt gegen die ganze Sache, da haben sie mit der Zeit gemerkt, daß es keinen Zweck hat. Ich bin jetzt aus Düsseldorf gekommen, am Freitag, und das hat mir doch wieder so den Rest gegeben, daß ich am Freitagabend beinahe wahnsinnig geworden bin.

Fichte: Was willst du machen?

Sandra: Du, das weiß ich nicht. Ich bin sicher, daß ich bald hier aufhöre, ja. Von heute auf morgen geht es nicht. Also spätestens, wenn ich einundzwanzig bin, dann bin ich weg vom Bock. Hundertprozentig. Dann steht mir wesentlich mehr offen, wenn ich einundzwanzig bin, und wenn ich mir irgendwie Geld aufnehme und werde mir in irgendeiner phantastischen Stadt, ich weiß noch nicht wo, ein ganz süßes Appartement einrichten und dann nur auf privat . .

Fichte: Privat?

Sandra: Ja, ja, dieses hier weiter, aber das weiß ich noch nicht, es kann auch sein, daß ich morgen oder übermorgen einen Mann kennenlerne, den ich liebe, das kann ich nicht sagen, ich lebe nicht so mit irgendwelchen Vorsätzen, sondern ich lebe von heute auf morgen.

Fichte: Was ist deine früheste Erinnerung?

Sandra: Mit drei Jahren, nee, mit vier. Da haben wir in Neuss gewohnt, da war ich noch ganz klein, wie mein alter Herr ein Motorrad fuhr und ich geknipst worden bin auf einem Motorrad, da habe ich mich so dadraufgestellt, und da bin ich geknipst worden. Dadrüber habe ich manchmal nachgedacht, das war so, wo ich mich am weitesten zurückerinnere. Und von da an kann ich alles verfolgen.

Fichte: Was wolltest du früher werden?

Sandra: Du, ich hatte schon immer Faible für Mode, schon immer, schon von jeher, ich bin mit zehn Jahren schonumhergelaufen wie ein Modepüppchen, und schon früher.

Fichte: Wann hast du das erste Mal was von Nutten gehört.

Sandra: Mit siebzehn, sechzehn, siebzehn.

Fichte: Früher nicht?

Sandra: Ach, natürlich wußte ich, doch, glaube ich, habe mich aber nie damit beschäftigt.

Fichte: Hast du sie sehr verachtet?

Sandra: Nee, ich habe immer gedacht, nee, würde ich nie machen. Ich hab da gesessen, ich habe im Café gesessen und hab gesagt, das würde ich nie machen, und drei Woche später habe ich auch da gesessen.

Fichte: Warst du in der Schule gut?

Sandra: Mittel, also ich war nicht die Beste, ich war auch nicht schlecht, ich hab so ein Durchschnittszeugnis gehabt.

Fichte: Hattest du keine Lust, auf die höhere Schule zu gehen?

Sandra: Überhaupt nicht.

Fichte: Warum nicht?

Sandra: Du, weil ich gräßliche Lehrer gehabt habe.

Fichte: Haßt du deine Lehrer?

Sandra: Nee, ich hasse sie nicht, ich fand es schlimm, weil ich von diesen Leuten unterdrückt wurde.

Fichte: In welcher Weise?

Sandra: Ja, sie sind diejenigen, die uns was vorschreiben können, und das sind diejenigen, die bestimmen können, was wir zu tun haben, und jeder Zwang, jeden Zwang lehne ich ab.

[S. 200 –207 …]

Fichte: Gehst du gern ins Theater?

Gunda: O nein, das war ich noch nie in meinem Leben.

Fichte: Du warst noch nie in deinem Leben im Theater?

Gunda: Nein.

Fichte: In der Oper?

Gunda: Auch nicht.

Fichte: Nie in deinem Leben?

Gunda: Nein.

Fichte: In einem Konzert?

Gunda: Auch nicht.

Fichte: Aber du interessierst dich doch sehr dafür?

Gunda: Ich interessiere mich dafür, aber das sind meine Hemmungen, ich weiß nicht warum, aber anscheinend, weil ich Hosen trage, wie die Leute reagieren, wenn sie das sehen, die Dame trägt einen Anzug, hat einen Busen, das sind die Hemmungen, die gewissen, das kann ich nicht.

Fichte: Wie lange hast du diese Hemmungen?

Gunda: Ach, sehr lange, wie lange, ein paar Jahre schon.

Fichte: Siehst du regelmäßig fern?

Gunda: O ja.

Fichte: Was interessiert dich da am meisten?

Gunda: Ja, ich höre alles mögliche an, was kommt. Ich sehe mir jeden Film an, manchmal kann ich mich nicht dafür begeistern, manchmal finde ich das langweilig, ist nicht interessant genug.

Fichte: Hörst du auch politische Sendungen?

Gunda: Nein.

Fichte : Bist du in einem Verein?

Gunda: Nein.

Fichte: Auch nicht Sportverein, Ruderverein?

Gunda: Auch nicht, nein. Das war ich früher als Kind mit dreizehn, vierzehn Jahren.

Fichte: FKK?

Gunda: Auch nicht.

Fichte: Reist du gerne?

Gunda: Ja, ich möchte schon, aber das Geld dazu habe ich nicht momentan, und so rumschlawienern, das kann man auch nicht.

Fichte: Bist du schon viel rumgekommen?

Gunda: Ja, was heißt viel? Ich war in Frankfurt, ich war in München, ich war in Paris, ich hab die Leute kennengelernt, aber das heißt nicht viel rumgekommen.

Fichte: Wo möchtest du gerne hinreisen?

Gunda: Ich möchte mal nach Schweden, um wirklich frei zu sein, und alles tun, was man eben, zu was man Lust hat.

Fichte: Spielst du Glücksspiele?

Gunda: Nein.

Fichte: Hast du irgendwelche Hobbies?

Gunda: Ja, Hobbies habe ich schon, reiten, was ist noch, Kino gehen, schreiben, selbst Gedichte schreiben, zeichnen, malen, das ist das gleiche.

Fichte: Hast du schon mal Männer bezahlt, daß sie mit dir ins Bett gehen?

Gunda: O nein.

Fichte: Würdest du auch nicht tun?

Gunda: Würde ich auch nicht tun, nein.

Fichte: Was für Gedichte schreibst du?

Gunda: Ja, das kann man auch als tragische Gedichte ausdeuten.

Fichte: Sind sie gereimt?

Gunda: Ja, zum Schlußeffekt reimt sich das immer.

Fichte: Achtest du besonders auf den Rhythmus?

Gunda: Nein, nicht, das ist manchmal kreuz und quer. Also je nachdem, was mir manchmal in den Kopf kommt, das schreibe ich alles nieder, und dann zum Schluß finde ich das selber sehr gut, andere Menschen denken, mein Gott, die ist verrückt, die hat nicht alle sieben Sinne beieinander, aber ich finde, das ist gut.

Fichte: Was sind die Themen deiner Gedichte?

Gunda: Na ja, das ist eigenartig, das kommt immer wieder auf die Liebe drauf raus.

Fichte: Liebe unter Frauen?

Gunda: Ja, Liebe unter Frauen.

Fichte: Das sind keine fröhlichen Gedichte?

Gunda: Nein, sehr traurig, möchte ich manchmal sagen, wirklich.

Fichte: Warum sagst du: Das, was ich jetzt geschrieben habe, ist ein Gedicht?

Gunda: Weil ich mir das vielleicht selbst einbilde, das ist vielleicht kein Gedicht, sondern eine kleine Niederschrift, die ich da schreibe aber wenn ich mir das selber durchlese, dann bilde ich mir dabei so viel ein, daß ich sage, das ist ein Gedicht, das müssen die Leute als ein Gedicht ansehen.

Fichte: Kannst du eines deiner Gedichte auswendig?

Gunda: Nein, leider nicht. Das schreibe ich nieder und denke mir weiter nichts dabei, nur wenn ich mir das selber wieder zur Hand nehme.

Fichte: Eine Art Tagebuch?

Gunda: So ungefähr.

Fichte: Schreibst du sehr regelmäßig?

Gunda: O ja.

Fichte: Täglich?

Gunda: Ja.

Fichte: Liest du viel?

Gunda: Ach nein, das kann ich nicht sagen, nein.

Fichte: Liest du jeden Tag eine Zeitung?

Gunda: Hin und wieder mal, und was steht schon in der Bild-Zeitung drin oder in der Morgenpost oder was, das interessiert mich alles nicht.

Fichte: Was ist deine liebste Beschäftigung?

Gunda: Meine liebste Beschäftigung ist spazierengehen, durch die Wälder streunen.

Fichte: Alleine?

Gunda: Alleine, ja, und wenn ich einen kleinen Hund dabei habe, ist es auch sehr schön.

Fichte: Es ist dir lieber, alleine spazierenzugehen als mit einer sehr guten Freundin?

Gunda: Ja, eine sehr gute Freundin, da kann man erzählen und machen und tun und zeigen und alleine ist es schöner, weil man da besser denken kann, und das ist wirklich schöner.

Fichte: Wo und wann bist du geboren?

Gunda: Ich bin am 18. 9. 42 in Wilhelmshaven, Kreis Sanderbusch, geboren.

Fichte: Was war dein Vater?

Gunda: Mein Vater war Oberstabsmaschinist bei der Marine früher, der ist 45 verstorben, und ich weiß weiter nichts über ihn.

Fichte: Und deine Mutter?

Gunda: Meine Mutter, die hat mich, wie ich neun Jahre alt war, hat sie mich zum erstenmal ins Heim geschickt, weil ich angeblich schwer erziehbar war, und das will mir nicht in den Kopf, daß ein Mensch mit neun Jahren schwer erziehbar ist, sie wollte mich anscheinend loswerden, und da bin ich ins Heim gekommen.

Fichte: Bist du das einzige Kind?

Gunda: Nein, ich habe noch zwei Geschwister.

Fichte: Womit verdiente deine Mutter den Lebensunterhalt?

Gunda: Ja, womit, sie war damals . . da muß ich mal überlegen . . war sie ja noch verheiratet, und wie sie Witwe war, da war ich ja schon im Heim, da hat sie regelmäßig den Heimaufenthalt bezahlt, hat sich wenig um mich gekümmert, ich war ihr also vollkommen gleich, sie hat mich hin und wieder mal besucht.

Fichte: Hattest du Kontakt zu deinen Geschwistern?

Gunda: Nein, auch nicht.

Fichte: Du bist dort wie lange geblieben?

Gunda: Bis zu meinem neunzehnten Lebensjahr.

Fichte: Zehn Jahre warst du in einem Heim für schwererziehbare Kinder.

Gunda: Ja.

Fichte: Hattest du in diesem Heim Schulbildung?

Gunda: Ja, habe ich auch. Ich wurde nach dem neunten, warte mal, ich bin neun Jahre zur Volksschule gegangen, und da wurde ich entlassen, und bin dann in eine Heimlehre gekommen . .

Fichte: Ja, was hast du da gelernt?

Gunda: Verkäuferin in einer Schlachterei, und das gefiel mir nicht dermaßen . .

Fichte: Lerntest du Verkäuferin?

Gunda: Verkäuferin in einer Schlachterei.

Fichte: Du lebtest aber noch im Heim.

Gunda: Ja.

Fichte: Und gingst zur Verkäuferinnenlehre . .

Gunda: . . in eine Schlachterei.

Fichte: Das mochtest du nicht?

Gunda: Nein, das mochte ich nicht, aus dem Grunde, weil man mir vorgehalten hat, vor anderen Kunden, daß ich aus dem Heim komme, daß ich unehrlich bin und so weiter und so fort, das ging mir allmählich über und deswegen bin ich da weggelaufen . .

Fichte: Mit wieviel Jahren?

Gunda: Ja, wie alt war ich da,Moment mal, da muß ich überlegen . . Siebzehn, sechzehn.

Fichte: Wohin?

Gunda: Nach Frankfurt.

Fichte: Und was hast du dann gemacht?

Gunda: Ja, in Frankfurt habe ich Frauen kennengelernt, habe mit denen zusammen gelebt und habe mir eingebildet, das ist die große Liebe, habe von den Mädels gelebt, was sie mir zugesteckt haben, von da aus bin ich wieder nach Hamburg, und so ging es immer weiter.

Fichte: Wie sind deine Erinnerungen an das Heim?

Gunda: Ach, wiederum war das schön, weil man da, da hatte man Tanzabende, man hatte Klub-Abende, wo man machen konnte, was man wollte, schreiben, tanzen, egal, malen, das war manchmal schön. Aber dieses ewige Rumtreiben, man muß dies tun, man muß jenes tun, das fiel mir wirklich doch, das war schwer.

Fichte: Wurdet ihr sehr hart angefaßt in dem Heim?

Gunda: Nein, das nicht, wir wurden nur bestraft, wenn wir irgend etwas nicht befolgt hatten.

Fichte: Wie waren die Strafen?

Gunda: Ach ja, wie waren die Strafen, man kam in Einzelhaft, man mußte alleine schlafen.

Fichte: Einzelhaft, oder mußtest du nur alleine schlafen?

Gunda: Ja, wirklich Einzelhaft, den ganzen Tag über, alleine schlafen, man bekam alleine das Essen, man bekam alles alleine.

Fichte : Und du durftest mit niemandem sprechen?

Gunda: Das durfte man auch nicht.

Fichte: Und wie lange bist du in dieser Einzelhaft gewesen?

Gunda: Na, vierzehn Tage.

Fichte: Vierzehn Tage hintereinander?

Gunda: Ja.

[S. 255 – 259]

Fichte: Würdest du nun selbst gerne eine Frau haben, die dich so ängstigt, daß du vor ihr Respekt hast?

Gunda: Nein, dazu bin ich irgendwie, nee, das möchte ich nicht.

Fichte: Könntest du jemanden umbringen?

Gunda: O ja.

Fichte: Hast du oft daran gedacht?

Gunda: Das nicht sehr oft, aber momentan ist es bei mir sehr schwierig, weil ich dieses Mädel wirklich liebe, und man kann, wenn man ein halbes Jahr zusammen ist, nicht Schluß machen von heute auf morgen, nur weil ich das nicht verstehe, weil meine Freundin im Puff ist, daß mich das dermaßen nervt, daß wir deswegen immer Streit bekommen, und ich drohe ihr manchmal.

Fichte: Womit?

Gunda: Daß ich sie umbringen will.

Fichte: Aber würdest du nicht im letzten Moment vielleicht denken: ich bring mich selbst um?

Gunda: Das schon, ich mach mir so Gedanken, ich leg mir regelrecht Pläne zusammen, wie mach ich das, ich möchte das Mädel nicht umbringen, ich möchte sie davor bewahren, daß sie hier im Bordell ist, und das ist so furchtbar, ich weiß nicht, ich habe nur den Gedanken, sie davon abzubringen, und wenn sie das nicht will, und wenn sie mich dermaßen vor den Kopf stößt, und ich liebe sie, dann bin ich dazu fähig, sie umzubringen, wirklich.

Fichte: Du hast wenig Angst?

Gunda: Ich habe wenig Angst, ja.

Fichte: Du gehst hier in diese Bordelle rein, wo sehr kräftige Wirtschafter im Moment arbeiten . .

Gunda: . . das interessiert mich nicht.

Fichte: Du rennst auch die Türen ein.

Gunda: Ja.

Fichte: . . und würdest dich also zur Not auch mit sehr kräftigen Gestalten prügeln, um sie hier rauszuholen.

Gunda: Ja, man kann mich ruhig zusammenschlagen, aber ich habe meine Genugtuung da auch dran, um ihr zu zeigen, daß ich auch anders kann.

Fichte: Siehst du gerne Verkehrsunfälle?

Gunda: Nein.

Fichte: Du hast in einer Schlachterei gelernt, hat dir das Spaß gemacht?

Gunda: Sicher, ich sehe gerne Blut, zum Beispiel wenn ich mich mit einem Menschen schlage, nicht mit einer Frau, mit einem Mann, und ich sehe Blut, dann zieh ich mich dermaßen dran hoch, und werd noch verrückter, und dann kenn ich mich überhaupt nicht mehr und hau dermaßen zu, bis er dann wirklich am Boden liegt und nicht mehr kann.

Fichte: Würdest du ihn auch unter die Füße nehmen?

Gunda: O ja.

Fichte: Hast du es schon getan?

Gunda: O ja.

Fichte: Bist du schon unter die Füße genommen worden?

Gunda: Nein.

Fichte: Hast du je von den KZ-Wärterinnen gelesen?

Gunda: Nein.

Fichte: Das hat dich auch nie interessiert, also was im KZ an Grausamkeiten geschehen ist?

Gunda: Irgendwie ja, doch. Und ich frage mich heute, ob das nicht eine Genugtuung war für diese Menschen.

Fichte: Für welche, die es erlitten . .

Gunda: Nein, nicht die es erlitten haben, sondern die das getan haben.

Fichte: Und würdest du fähig sein, ähnliche Dinge zu tun?

Gunda: Nein, nein, das nicht, nein.

Fichte: Wenn du dir jetzt eine ganz extreme Situation vorstellst!

Gunda: Ach ja, ich glaube, ich kann mir vorstellen, wenn ich Menschen wirklich hasse, daß ich dermaßen irgendwie weh tun kann und mich irgendwie daran hochziehe, wenn ich sehe, daß sie leiden, das ja.

Fichte: Du könntest also auch sogar jemanden foltern?

Gunda: Ja, bis zu einem gewissen Grade, ja.

Fichte: Bis zu welchem?

Gunda: Wenn ich merke, daß der Mensch wirklich nicht mehr kann und wenn er um Gnade fleht, dann . .

Fichte: Das wäre das entscheidende, er muß um Gnade flehen?

Gunda: Ja, der muß betteln und muß sagen, laß mich bitte, dann ist es gut.

Fichte: Und das tust du auch bei deinen Freundinnen?

Gunda: Ich quäle meine Freundin, weiß ich ja, aber ich meine es nicht, das ist nur eine Affekthandlung, wenn sie einmal nicht ihren Dickkopf durchsetzen würde und einmal sagen würde, Gunda, bitte sei vernünftig, vergib mir, aber nein, sie bohrt weiter, und das kann ich nicht ab bei meiner Freundin, ich kann sie dermaßen quälen, daß sie Tränen in den Augen hat, bis sie zu mir sagt, bitte sei vernünftig.

Fichte: Könntest du sie quälen, bis Blut fließt?

Gunda: Ich weiß nicht, wie das Blut fließen soll, aber ich glaube, daß ich sie fesseln könnte und festbinden könnte, daß sie sich nicht bewegt und daß ich sie mit Rasierklingen mal kurz schneiden könnte, da sie sowieso Angst hat vor Rasierklingen, und wenn sie dann bitten würde, laß mich, dann würde ich hören. Ich warte nur darauf, daß sie zu mir sagt, bitte laß mich.

Fichte: Hast du dir oft solche Folterszenen vorgestellt?

Gunda: Ach ja, ich träume sogar manchmal davon.

Fichte: Mit deiner Freundin?

Gunda: Das nicht unbedingt meine Freunde sind, auch andere Menschen, andere Frauen, von denen ich dann träume, die ich quäle und die mich dann im letzten Moment bitten, mein Gott, ich habe schon manchmal geträumt, ein Vampir zu sein, das ist irrsinnig.

Fichte: Wie quälst du diese Frauen in deinen Träumen?

Gunda: Na ja, daß ich sie eben festbinde in Eisenbetten und daß ich sie dermaßen seelisch kaputtmache, all das, an dem räche ich mich, was sie mit mir getan haben in all der Zeit, und dann versuche ich eben, mich zu rechtfertigen und tu ihnen eben dermaßen Böses an, und wenn ich merke, daß sie Tränen in den Augen haben und mich bitten, laß nach, dann hör ich auf.

Fichte: Und wenn sie das nun nicht sagen, würdest du dann . .

Gunda: Dann wäre ich fähig, dann würde ich dazu fähig sein, sie ganz umzubringen.

Fichte: Pflegst du dich sehr?

Gunda: Ach doch, ja, doch, das tue ich schon.

Fichte: Sind die Mädchen, mit denen du geschlafen hast, sehr dreckig? .

Gunda: Nein, sie sind sauber.

Fichte: In euren Kreisen ist man sauber?

Gunda: Ja.

Fichte: Hast du Angst vor Geschlechtskrankheiten?

Gunda: O ja.

Fichte: Hast du schon mal welche gehabt?

Gunda: Nein.

Fichte: Sind Geschlechtskrankheiten unter Lesbierinnen sehr verbreitet?

Gunda: Ich weiß es nicht, ich bin dreizehn Jahre so veranlagt, ich habe es noch nie gehabt.

Fichte: Würdest du nun aus purem Mitleid mit einem Mann oder mit einer Frau ins Bett gehen?

Gunda: O ja, ich glaube schon, wenn ich einen Mann interessant finde, und wenn er mir einiges bieten könnte, ich meine so, wenn ich mit ihm irgendwo hingehe, und er weiß sich zu beweisen und zu behaupten und ich glaube schon, daß ich mit einem Mann ins Bett gehen könnte, um nur dem Mann den Gefallen zu tun, daß er seine Befriedigung hat, ich selber würde nichts empfinden dabei.

Fichte: Und mit einer Frau auch?

Gunda: Mit einer Frau nur dann, wenn ich irgendwie Gefallen daran finde.

Fichte: Also wenn eine abstoßende Frau für dich käme, ich glaube alte Frauen sind nicht sehr anziehend für dich . .

Gunda: O nein.

Fichte: . . und sie würde nun wirklich auf den Knien vor dir flehen.

Gunda: . . nein . . könnt ich nicht . .

Fichte: . . würdest nie mit ihr ins Bett gehen.

Gunda: Nein, könnt ich nicht.

Fichte: Für Geld würdest du mit einer Frau gehen?

Gunda: Auch nicht, nein.

Fichte: Eine Frau, die dich abstößt, würdest du nie befriedigen können für Geld?

Gunda: Nein, nein.

Fichte: Auch wenn sie dir sehr viel Geld bietet?

Gunda: Auch nicht.

Fichte: 50 000 Mark?

Gunda: Auch nicht. Ich weiß nicht, ich würde es vielleicht tun, wenn ich in Geldnot wäre, ja, ich würde mich aber dermaßen ekeln und würde es tun und würde denken, hoffentlich istes schnell vorbei, hoffentlich ist die Frau schnell befriedigt und fertig.

Fichte: Und das wäre auch bei einem Mann der Fall?

Gunda: Ja, das kann auch sein.

Fichte: Hast du, als du klein warst, oft daran gedacht, daß deine Eltern miteinander geschlechtlich verkehrt haben?

Gunda: Ach Gott, als Kind, Menschenskinder, mit neun Jahren kam ich ins Heim, da hat man viel erzählt, aber ich habe schon als kleines Kind, wie alt war ich da, sieben, bin ich mit der Taschenlampe bei meinem Onkel ins Bett gekrochen, er hat gemacht, als wenn er geschlafen hat, und ich hab ihn beleuchtet, habe alles angeguckt, das ganze Geschlechtsteil, ich habe gedacht, mein Gott, warum hast du nicht so was, warum er nur, ich habe mir aber nichts weiter dabei gedacht.

Fichte: Hast du dich als Kind schon als Mann verkleidet?

Gunda: Ja, bei Gesellschaftsspielen zum Beispiel habe ich mich als Mann verkleidet.

Fichte: Hat es dich sehr geärgert, als du mit einemmal merktest, daß die kleinen Jungs im Stehen pinkeln können? . .

Gunda: Ja, ja, richtig, ich wollte auch immer im Stehen pinkeln, hab es versucht, hab die Hand hingehalten, und das ging immer daneben, das ging immer in die Hose.

Fichte: Und von dem Moment an hast du dich schon für Mädchen interessiert, wolltest du da den kleinen Jungen imitieren?

Gunda: Nein, nein, ich weiß nicht, wie ich das jetzt sagen soll, aber als kleines Mädchen schon, wenn ich von meiner Tante einen Kuß bekam, habe ich mich gescheut gefühlt, habe Angst bekommen, und dann im Heim habe ich das gemerkt, zu Mädchen habe ich mich hingezogen gefühlt, die Gefühle waren da, bis es eben passierte, wie ich vierzehn war, mit der Praktikantin, da habe ich das wirklich gewußt, daß ich mit Mädchen irgendwie besser zusammenkomme wie mit Männern.

[S. 278 – 283 …]

Fichte: Hast du ein starkes Ehrgefühl?

Johnny: Ehrgefühl, ja, ein ganz starkes sogar.

Fichte: Was geht gegen deine Ehre.

Johnny: Was gegen meine Ehre geht, hauptsächlich also die Unhöflichkeit gegenüber einer Frau. Zum Beispiel am Bahnhof diese Woche. Zwei Jungs haben eine etwa vierzigjährige Frau weggeschubst vom Eingang, die wollte reingehen, die hab ich vielleicht getickt, die zwei. Habe ich die Schnauze aufgerissen und hab denen eine geknödelt, wenn ihr nicht gleich auseinander und so, ich hab mich nicht groß geprügelt, ich hab nur zweimal zugehauen.

Fichte: Bist du rachsüchtig?

Johnny: Nein, überhaupt nicht. Ich bin wohl geschwind wütend und sag: Mensch, wenn ich den noch mal treff, den hau ich zusammen, nach paar Stunden ist das aus wieder.

Fichte: Also diese Leute im Erziehungsheim, die möchtest du nicht noch mal ein bißchen ticken.

Johnny: Nee.

Fichte: Lehrer?

Johnny: Nee.

Fichte: Auch nicht das Rollkommando?

Johnny: Nur einen davon, einen möchte ich ganz alleine jetzt haben. Das war so ’n Bauverwalter.

Fichte: Und was möchtest du damit machen, wenn du könntest?

Johnny: Ich würde ihm nur ein paar Ohrfeigen geben, nur um ihn zu kränken, nur ein paar Ohrfeigen zu geben.

Fichte: Keinen, du möchtest dich an keinem deiner Freier rächen.

Johnny: Doch, auch einen.

Fichte: Warum?

Johnny: Der hat mir 50 Mark versprochen, und hat die mir auch gegeben, und hat mir 40 wieder geklaut. Der hat ganz seriös ausgesehen, ganz gut situiert, und ich dachte, der hat Geld, dann gibt er das auch, wenn er es sagt, und der hatte mir 50 Mark gegeben, in 10-Mark-Scheinen und der ist vor mir gegangen, ich merkte das nicht, ich war voll, besoffen, und ich versteh es heute noch nicht, ich wach normal immer auf, wenn jemand aufsteht neben mir, und da bin ich nicht aufgewacht. Der ist gegangen und hat mir noch 40 Mark raus aus dem Geldbeutel.

Fichte: Ja, und was möchtest du mit dem machen?

Johnny: Was ich machen würde? Ich würd ihm ein paar knallen, und dann 40 Mark aus dem Geldbeutel rausnehmen.

Fichte: Gibt es viele Dinge für dich, die unpassend oder unschicklich oder unanständig sind?

Johnny: Nee, gibt es praktisch nicht. Ja, das ist klar, habe ich ja gesagt, unschicklich, was ist unschicklich, ein Mädchen sitzenlassen, wenn sie ein Kind kriegt, und so was. Ich meine jetzt hier in Deutschland, ich meine, das guck ich etwas anders an, weil ich in Finnland ein Kind da oben hab, ich meine, das hat die vielleicht verstanden, daß ich nicht raufkomme. Aber so,wenn ich jetzt hier ein Mädchen ficken würde, na, die würde ein Kind kriegen, ich glaube, ich würde sie heiraten sogar, und würde arbeiten gehen.

Fichte: Lügst du viel?

Johnny: Nur Notlügen, fast nur Notlügen, manchmal hau ich auch ein bißchen auf den Putz.

Fichte: Hast du viel gelogen in dem Interview?

Johnny: Nee, das ist alles wahr.

Fichte: Glaubst du, daß man seine Eltern ehren soll.

Johnny: Nicht immer.

Fichte: Wann nicht?

Johnny: Zum Beispiel so wie meine Eltern, speziell meine Mutter. Würde ich nie ehren. Ich würde nicht mal, also es klingt ein bißchen brutal, ich würde nicht mal zur Beerdigung gehen.

Fichte: Würdest du zur Beerdigung deines Vaters gehen?

Johnny: Zu meinem Vater, ja.Weil ich genau weiß, daß er immer Verständnis für mich hat.

Fichte: Gibt es außer deinem Vater noch eine Person, die du sehr achtest?

Johnny: Die ich sehr achte, wenn ich das sagen soll, ich meine, wenn ich heute meine Verlobte treffen würde, also meine letzte Verlobte, die junge da, die ist jetzt achtzehn, ich würd sofort wieder anfangen mit ihr.

Fichte: Aber sonst keinen, Erzieher oder einen Kumpel?

Johnny: Nee. Ja, ich hatte einen Kumpel, ja. Den da im Erziehungsheim, das war mein bester Kumpel, den ich je hatte, zu jeder Zeit würde ich den als Freund noch akzeptieren.

Fichte: Ist dir dein Vater ein Vorbild?

Johnny: Nee.

Fichte: Hast kein Vorbild?

Johnny: Ich habe ein sportliches Vorbild. Den Cassius Clay. Und als Sportsmann find ich den, als Vorbild, das ist praktisch der einzige Sportsmann, den ich überhaupt kenne, was nun richtig ganz durch und durch ein Sportsmann ist, das ist der Finne, der Nurmi. Der Nurmi, der Langstreckenläufer, weil, von dem hab ich mal gelesen, der hat einen Lauf gemacht, und wäre nicht geschlagen worden, aber sein Gegner ist gestürzt, und er hat auf der Strecke angehalten, und hat seinem Gegner auf die Beine geholfen, und dann sind sie zusammen durchs Ziel gelaufen. Ja, und das ist, meiner Meinung nach, das, etwas Besseres gibt es gar nicht, im Sport, meiner Meinung nach.

Fichte: Hast du Schuldgefühle? Oder ein schlechtes Gewissen?

Johnny: Jetzt zur Zeit, nee, überhaupt nicht.

Fichte: Schämst du dich leicht?

Johnny: Ja, da muß ich halt so sagen, ich habe immer noch, ich geniere mich nur halt, genieren tu ich mich, wenn ich nur mit Männern weggehe, da geniere ich mich noch.

Fichte: Genierst du dich auf der Straße, daß du mit Freiern gehst oder genierst du dich im Bett?

Johnny: Im Zimmer, im Bett, auf der Straße, das ist doch bekannt, wenn ich auf St. Pauli laufe und es ist, sagen wir mal, es ist ein Mann dabei, der älter aussieht als ich oder der auch älter ist als ich, dann wissen ja die meisten Bescheid, die mich kennen.

Fichte: Warum genierst du dich im Bett?

Johnny: Ich kann das einfach nicht, so abgebrüht sein und jetzt einen Mann küssen oder umarmen oder so, das kann ich einfach nicht.

[p. 356–359]