Es gibt verschiedene Kategorien von Titeln:

Lucien Leuwen – Sie werden von jemandem lesen, der Lucien Leuwen heißt.

Ulysses.

Nora.

Die Ewe-Stämme.

L’Éducation Sentimentale — Sie werden von einem Prozeß lesen, der die Entwicklungen von Empfindungen betrifft, von einem Kampf in Combatimento di Tancredi et Clorinda.

Es gibt Titel, die spielen mit Wörtern:

Der Schatten des Körpers des Kutschers.

Und mit Sinn:

Wie es Euch gefällt.

Und schließlich:

Ein Herz spielt falsch.

Ein Sprachverhalten der Anspielung, der Zwiezüngigkeit, falsche Strenge und falsches Necken – eine tantenhafte Atmosphäre.

Les Fleurs du Mal steht zu Beginn der modernen Literatur.

Es folgt:

Une Saison en Enfer.

Frühlingserwachen.

Also sprach Zarathustra.

Si le grain ne meurt.

Morgens um acht ist die Welt noch in Ordnung.

Die Reihe mit dem leuchtend roten Rahmen.

Und auch:

A la Recherche du Temps perdu mit:

À l’Ombre des Jeunes Filles en Fleurs.

Wobei allerdings Symbolismen wie Les Faux Monnayeurs schon wieder reduziert sind auf Recherche.

Auch muß Verlorene Zeit nicht als Kitsch eingesetzt worden sein.

Prousts Werk ist ein Versuch über das Vergehen von Zeit.

Perdu – ja, aber was wäre besser gewesen? Passé? Écoulé? À l’Ornbre des Jeunes Filles en Fleurs, ein Titel, der wie kaum ein andrer tuntig, parfümiert, doppelt gemobbelt wirkt, erweist sich bei genauem Überlegen als klar, knapp, einfach:

Ich fasse Mädchen als blühende Bäume auf und berichte von Tatsachen, die in ihrem Schatten geschehen.

Die Auffassung von Mädchen als Bäumen ist sehr alt, und da es Proust um die Analyse des Unbewußten geht, setzt er nur exakt seine poetischen Mittel, wenn er sich auf eine alte mythische Vorstellung beruft.

 

Tristes Tropiques heißt das Buch eines Autors, der sich selbst als Soziologe, als Ethnologe, meistens aber als Ethnograph bezeichnet –als ein Wissenschaftler also, der ohne das theoretische Korsett von Anthropologie, Soziologie, Völkerkunde Völker beschreibt.

Et voici que je m’apprête à raconter mes expeditions – Und jetzt gehe ich daran, meine Expeditionen zu erzählen, nimmt Claude Lévi-Strauss sich im ersten Kapitel der französischen Ausgabe von 1955 vor.

Es ist eine Absichtserklärung, die in der deutschen Ausgabe von 1970 fehlt, der Ausgabe, die für die Lévi-Strauss-Rezeption in der Bundesrepublik entscheidend wurde. [1].

“Der deutschen Ausgabe liegt – wie der englischen und amerikanischen – eine vom Verfasser autorisierte gekürzte Fassung der Originalausgabe zugrunde.”

Auch L ’Illustre Bassa von Madame de Scudéry benützt ein wertendes Adjektiv, um das Thema ihres Romans im Titel zu bezeichnen.Doch erscheint Illustre hier weniger wertend als eingrenzend, es handelt sich eben um jenen Berühmten Bassa Ibrahim, nicht um irgendeinen anderen. Nils Holgerssons underbara resa genom Sverige setzt Wunderbare Reise fast als farblose Floskel und bei den unerhörten Überraschungen dieser Reise durch die Welt der Lüfte und der frühkindlichen Träume erscheint “wunderbar” wirklich als eine Konvention.

Tristes im Zusammenhang mit Tropen ist mehr – wenn man von dem fashionablen Anklang an den Nouveau Roman einmal ganz absieht (Tropismes von Nathalie Sarraute war 1939 erschienen, Les Gommes von Alain Robbe-Grillet 1953): dreckige, hungernde, überbevölkerte, erodierte, trockene Tropen würde Fakten zu kennzeichnen versuchen, entsetzliche, erschreckende etc. Tropen kennzeichnete die Meinung eines Schriftstellers.

Tristes aber beruft sich auf ein abfälliges Vorurteil – es ist fast so geringschätzig wie “triste”.

Strauss will uns also von einer schäbigen Realität berichten, die nicht seine oder unsere Revolte hervorrufen kann, sondern Verachtung, ein kleines Mitleid wider Willen, ein schließlich achselzuckendes Hinnehmen einer solchen Realität.

1955 – ein Jahr vorher hatte Mendès-France den Indochinakrieg beendet – heugt sich die Grande Nation (noch ist de Gaulle nicht Président de la République Française – mit Sondervollmachten ausgestattet) zu erbärmlichen Verhältnissen herunter.

1952 hatte Jean-Paul Clébert, der Pariser Clochard, in Paris Insolite (trotz des leidigen Doppelsinns: Unehrenhaftes, herausforderndes Paris – unehrenhafte Wetten) eine ganz andere Dialektik aufgezeigt:

Das Buch schildert die tristen Tropismen der Pariser Wohnungssituation:

Im Winter 1954 legten die Obdachlosen ihre Erfrorenen auf den Asphalt der Boulevards der Ville de la Lumière, um die Öffentlichkeit zu einer Reaktion zu zwingen.

1952 war auch Géopolitique de la Faim in Frankreich erschienen, das Buch des brasilianischen Agrarwissenschaftlers Josué de Castro über den Hunger in der Welt – kannte Strauss es nicht, als er seinen schulterklopfenden, weinerlichen Titel 1955 für sein Brasilienbuch erfand.

Denn wie bei Africa Addio steht hinter diesem Titel ja noch ein anderes Sprachverhallen, eine weitere ideologische Auffassung:

Die Tropen waren doch sicher nicht immer triste.

Sie sind es ja erst geworden.

Zu früh in die Unabhängigkeit entlassene Völker oder nie in eine rechte Erziehung genommene Völker verwalten die Tropen ja auf eine so minderwertige Weise, daß etwas Tristes dabei herauskommen muß.

Man hat dem Strukturalismus eine restaurative Tendenz vorgeworfen – mir geht es weniger um die Beurteilung einer Philosophie – mir geht es um Sprachverhalten, um das Transportieren von Fakten.

Tristes Tropiques verwendet wie Götter, Gräber und Gelehrte, Rolls Royce, Rowohlts Rotations Romane das poetische Verfahren der Alliteration, oder was man vulgär unter Alliteration versteht.

Wir kennen den Ursprung dieses poetischen Mittels und ihre Auswüchse – bis hin zur Deutschtümelei im Symbolismus.

Ich weiß nicht, was einen Ethnographen 1955 bestimmen kann, dieses Verfahren einzusetzen, und einen Übersetzer, es 1970 traut einzudeutschen.

Aber selbst wenn ethnographische Dürre hier in den Schatten junger Mädchenblüte hochgerilkt werden sollte – ist es denn auch nur in einem restaurativen Sinn eindrucksvoll, poetisch, schön:

Tr.. Tr..?

Claude Lévi-Strauss’ Buch, das ohne Genrebezeichnung 1955 von Pion in der Reihe Terre Humaine ausgeliefert wurde, ist ein Gemisch von Reiseerinnerung, ethnologischer Untersuchung, Lebensbericht, lyrischer Anrufung, dessen verschiedene Komponenten wie willkürlich ineinander übergehen. Neuartig sicher der Versuch, die Beschreibung von Reisen zu südamerikanischen Indianern durch Parallelen aus Asien zu versehen, um damit dem Anspruch zu genügen, über Tropen im allgemeinen etwas auszusagen und eine quasi-poetische Freizügigkeitzu erreichen.

Eine zweite Eigentümlichkeit sind Dichotomien, Widersprüche teils absichtlicher Art, teils unfreiwilliger.

Das Buch gilt seither als Fanal einer vom Naturwissenschaftlichen abgekehrten Wissenschaft vom Menschen, mit Freud, Artaud, Sartre, Bataille, Leiris, Lacan, Foucault gehört es zum Repertoire einer phantasievolleren Linken, es wurde kürzlich in die “Zeit”-Bibliothek der 100 Bücher gewählt; George Bataille lobte es als un livre humain, un grand livre. Peu d’ouvrages soulèvent des problemes aussi vastes, aussi fondamentaux.

Traurige Tropen – der Titel des vorliegenden Buches meint das große Sterben in den Urwäldern Brasiliens. Es ist der Bericht einer abenteuerlichen Reise zu den von Trauer umwobenen Überresten fremder Kulturen im Mato Grosso, erlebt und beschrieben mit poetischer Kraft – erklärt der Waschzettel der deutschen Ausgabe.

Bin ich gerecht, wenn ich, auf den Titel hin, Claude Lévi-Strauss Gemeinheit und Sentimentalität andichte?

Vielleicht war er wirklich betroffen und wollte nichts anderes ausdrücken, als daß er von Gegebenheiten schreiben wird, die ihn in Brasilien zur Traurigkeit veranlaßten?

 

Auf der ersten Seite der französischen Ausgabe:

.. mais cette scorie de la mémoire: “A 5 h 30 du matin nous entrions en rade de Recife tandisque piaillaient les mouettes et qu’une flotille de marchands de fruits exotiques se pressait le long de la coque”, un si pauvre souvenir mérite-t-il que je lève la plume pour le fixer?

.. aber ein solcher Auswurf des Gedächtnisses: “Um 5 Uhr 30 morgens legten wir an der Reede von Recife an .. ” Eine so arme Erinnerung, ist sie es wert, daß ich die Feder hebe, um sie festzuhalten? –

Der Ethnograph hebt die Feder, um armselige Erinnerungen festzuhalten!

Das Erinnerungsvermögen mag armselig sein.

Das von Claude Lévi-Strauss Erinnerte auch.

Aber ist die Reede von Recife ein armseliger Gegenstand der Erinnerung? Die Aussagen, die Josué de Castro drei Jahre vorher über die Hungernden von Recife auf französisch veröffentlicht hatte, waren alles andre als armselig; sie provozierten die ersten Reflexionen über den Hunger in der Dritten Welt. Josué de Castro hob vielleicht auch keine Feder – er wird in der Hitze Pernambucos den Kugelschreiber genommen haben.

Welche Gegenstände der Erinnerung und welche Art von Erinnerungerscheinen Strauss wichtig genug, um sie auf den 169 Seiten Einleitung zu fixieren:

19: Je voudrais aujourd’hui qu’il m’ait été donné, voici vingt ans, d’apprécier à sa juste valeur le luxe inouï, le royal privilège qui consiste dans l’occupation exclusive par les huit ou dix passagers du pont, des cabines, du fumoir et de la salle à manger, sur un bateau conçu pour accomoder 100 ou 150 personnes.

Strauss findet diese Aussage so wichtig, daß er damit die gekürzten Ausgaben seines Werkes eröffnet:

11 : Ich wünsche mir heute, ich wäre vor zwanzig Jahren imstande gewesen, den Wert jenes unerhörten, geradezu königlichen Vorrechts gebührend zu ermessen, das darin bestand, daß eine Gruppe von acht bis zehn Passagieren nicht nur über Deck und Kabinen, sondern auch über Rauchsalon und Speisesaal erster Klasse eines Schiffes verfügte, das hundert bis hundertfünfzig Personen Platz bot. –

Vielleicht konnte 1970 eine solche Aussage für den Klassenkampf umgeschminkt werden.

Eine nächste Aussage, die in der deutschen Übersetzung fehlt, läßt eine solche Deutung kaum mehr zu:

Die andre (Kabine) würden sich vier Männer teilen, zu denen ich gehörte – eine exorbitante Begünstigung, die darauf beruht, daß M. B., er sei dafür hier bedankt, es als Unmöglichkeit empfand, einen seiner ehemaligen Luxuspassagiere wie Schlachtvieh zu befördern.

Seite 27:

Drei Personen nur durften an Land .. ich auf Grund einer besonderen Gnade, die dem Kommandanten von dem Contrôle Naval gewährt wurde, denn wir hatten uns als alte Bekannte wiedergefunden ..

Seite 30:

Glücklicherweise gab es zu dieser Epoche noch im Herzen eines jeden brasilianischen Beamten einen schlummernden Anarchisten, der durch diese Überbleibsel von Voltaire und Anatole France am Leben blieb, die sogar im tiefsten Busch, in der Kultur der Nation sich in einem freischwebenden Zustand erhielten. (“Ah, mein Herr, Sie sind Franzose! Ah, Frankreich! Anatole, Anatole!” rief ein aufgewühlter Greis in einem Dorf des Inneren aus, indem er mich in seine Arme schloß; er war noch niemals einem meiner Landsmänner begegnet.)

Seite 32:

.. meine Situation auf Martinique besserte sich dank der Intervention eines hohen Beamten der Ponts et Chaussees ..

Seite 35:

.. ich konnte die Insel erkunden unter der freundlichen Führung von Herrn Christian Belle, damals Generalkonsul ..

Seite 50:

Célestin Bouglé, damals Direktor der Ecole Normale Supérieure ..

Seite 51:

.. Ich hörte aus dem Mund des brasilianischen Botschafters in Paris ..

Seite 62:

Ungefähr mit siebzehn war ich in den Marxismus eingeweiht worden von einem jungen belgischen Sozialisten, der heute Botschafter seines Landes im Ausland ist ..

Finessen, die alle in der deutschen Ausgabe fehlen.

Nicht fehlt (Seite 88):

In diesen Wäldern, die sich auf beiden Seiten des Rio Tibagy erstrecken und die in etwa tausend Meter Höhe liegen, begegnete ich zum ersten Mal den Indianern, als ich einen Beamten des Büros zum Schutze der Eingeborenen auf einer seiner Dienstreisen begleitete.

Das Original allerdings setzt: Sauvages – Wilde an Stelle des Wortes Indianer. (Seite 174)

Wie sagt Strauss selbst schon auf Seite 66:

Es sind langwierige und unnütze Betrachtungen!

Solches Namedropping geschieht nicht ohne lyrische, ja, expressionistische Airs:

Das Kapitel La Fin des Voyages, das doppeldeutig Das Ende der Reisen und das Ziel der Reisen heißt – beginnt:

Ich hasse Reisen und Forscher und nun gehe ich daran, von meinen Expeditionen zu berichten.

173:

Campeurs, campez au Parana. Ou plutôt non; abstenez-vous.

Kampierer, zeltet am Parana. Oder lieber nein; haltet Euch zurück, findet sich im Original und fehlt in der deutschen Ausgabe.

Strauss ruft ganze Klassen auf, ganze Gesellschaften und ordert sie wieder zurück:

391:

II eût fallu que la société entière confessât la supériorité des montagnes et m’en reconnût la possession exclusive, wird für Wert befunden auch in den gekürzten Ausgaben zu erscheinen. Im Deutschen heißt es also:

Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte jedermann die Üüberlegenheit der Berge verkünden, sie mir jedoch gleichzeitig als ausschließliches Eigentum überlassen müssen.

 

Das Abenteuer hat keinen Platz im Beruf des Ethnographen, Seite 13 – aber kaum ein Sigel wird von Claude Lévi-Strauss öfter gesetzt als “Abenteuer”:

30: .. war mir ein gleiches Abenteuer begegnet

92: Das Ende des Abenteuers

182: Ich war bereit zu den wahren Abenteuern.

301: Im Anschluß daran würde das Abenteuer beginnen.

305: Nichts läßt sich mit den Abenteuern vergleichen.

383: .. dies Abenteuer im Enthusiasmus begonnen, ließ mir einen Eindruck der Leere.

435: Mein abenteuerliches Leben ..

Wozu?

Wozu die koketten Ignoranzen:

16: Ich weiß nicht mehr, ob es ein Donnerstag war oder der Sonntagmorgen. – Ein Franzose, der den Sonntagmorgen nicht von einem Donnerstag unterscheiden könnte?

23: Das Schiff transportierte ich weiß nicht was für ein verbotenes Material.

32: Mönche, ich weiß nicht welchen Ordens.

45: En roulant mes souvenir dans son flux, l’oubli a fait plus que

les user et les ensevelir. Le profond édifice qu’il a construit de ces fragments propose à mes pas un équilibre plus stable, un dessin plus clair à ma vue.

Im Deutschen heißt das 1970:

12: Im Strom des Vergessens haben sich diese (Erinnerungen) nicht nur abgenutzt und vergraben, sondern die Fragmente haben sich auch zu einer Struktur zusammengefügt, die meinem Vorgehen Festigkeit und meinen Augen einen Plan bietet.

Das Vergessen, so resümiere ich das Original, bietet Strauss’ Vorgehen ein sicheres Gleichgewicht und seiner Sicht einen klaren Plan.

 

.. il a fallut vingt années d’oubli pour m’amener au tête-à-tête avec une expérience ancienne dont une poursuite aussi longue que la terre m’avait jadis refusé le sens et ravi l’intimité.

In der deutschen Ausgabe heißt dieser Kapitelschluß:

Zwanzig Jahre des Vergessens sind nötig gewesen, um ins Zwiegespräch mit einer Erfahrung zu kommen, der ich einst bis ans Ende der Welt nachgejagt war, die mir jedoch ihre Bedeutung, ihren innersten Sinn verweigert hatte.

Der hohe Beamte der Ponts et Chaussées?

Der Direktor der Ecole Normale Supérieure?

Der belgische Botschafter?

Der Beamte des Büros zum Schutze der Eingeborenen?

Ich bezweifle, daß man nach Freud und Proust noch so im Vergessen

dilettieren kann.

Seite 56:

Or, mon ésprit présente cette particularité, qui est sans doute une

infirmité, qu’il m’est difficile de le fixer deux fois sur le même objet.

Nun, mein Geist bietet diese Besonderheit, die ohne Zweifel Behinderung ist, daß es mir schwer wird, ihn zweimal am selben Gegenstand festzuhalten. –

Einer solchen Aussage über Denken, folgt auf der nächsten Seite dann die Beleidigung der Menschen in der Steinzeit:

57: J’ai l’intelligence néolithique.

Das ist lieb und flott gemeint, soll wohl auch poetisch wirken.

Tatsächlich, und das kalkuliert Strauss genau, wenn er seine Gedanken auch vorgeblich nicht zweimal leicht auf dasselbe Konzept heftet, schindet er rechts und links damit Eindruck.

Und Zeilen.

Was für Zeit muß ein Intellektueller in Frankreich 1955 zur Verfügung gehabt haben, wie finanziell muß er abgefüttert gewesen sein.

Zeilen und Zeit, die Strauss bei der Beschreibung der Indianerstämme fehlen – und bei der Erlernung der Indianersprachen.

Der Kapitelanfang von Seite 161 fehlt im Deutschen:

Sans que j’en aie formé le dessein, une sorte de travelling mental m’a conduit du Brésil central à l’Asie du Sud ..

Ohne daß ich die Absicht geformt hätte, hat mich eine Art geistigen Travellings von Zentralbrasilien nach Südasien geführt ..

 

Claude Lévi-Strauss wurden doch Jugendliche, Arbeiter, Fonds anvertraut – es würde mich interessieren, was mit dem Bankangestellten Kafka geschehen wäre, wenn er schriftlich solche Aussagen über seine Zurechnungsfähigkeit aus der Hand gegeben hätte.

 

Strauss mag nichts auslassen, nicht, daß er Chopin vor sich hinsummt, noch, daß er gerne Berge steigt, daß er surrealistische Zeichnungen macht und ein römisches Trauerspiel entwirft.

Er liefert Feuilles de Route und Gedichte für die Faschingszeitung.

Eine Poesie mit der Pfeife im Mund.

Seite 70:

Plus haut encore dans le ciel, des diaprures blondes se dénouaient

en sinuosités nonchalantes qui semblaient sans matière et d’une texture purement lumineuse.

Da Strauss klug genug war, 1970 nicht mehr darauf zu bestehen, muß ich versuchen, diese Zeilen ohne Gemeinheit zu übersetzen.

Höher am Himmel lösten sich blonde Vielfarbigkeiten zu lockeren Krümmungen, die ohne Materie zu sein schienen und von rein luminöser Textur.

Seite 98:

.. un fragment de lune rougeâtre qui passe et repasse et disparaît comme une lanterne errante et angoissée.

wird in der deutschen Ausgabe verschönt zu:

.. ein Stück rötlichen Mondes .. das wieder verschwand wie ein geängstigtes Irrlicht.

Tatsächlich heißt es:

.. ein rötliches Fragment (!) des Mondes, das kommt und geht und verschwindet wie eine herumirrende und geängstigte Laterne.

Zu einer Zeit, als es in Frankreich die Prosa eines Alain Robbe-Grillet gab.

Seite 101:

Les bananeries qui la couvrent sont du vert le plus jeune et le plus tendre qu’on puisse concevoir; plus aigu que l’or verl des champs de jute dans le delta du Brahmapoutre avec quoi mon souvenir aime à les réunir; mais cette minceur même de la nuance, sa gracilité inquiète comparée à la paisible somptuosité de l’autre, contribuent à créer une ambiance primordiale.

Diese Aussagen hat auch die Übersetzerin des Kiepenheuer Verlages nicht ganz entschärfen können:

45: Die Bananenpflanzen, von denen die Ebene bedeckt ist, sind vom frischesten und zartesten Grün, das man sich vorstellen kann, leuchtender noch als das grüne Gold der Jutefelder im Delta des Brahmaputra, mit denen sie sich in meiner Erinnerung vermischen ..

Erinnerung?!

Ein harmloses Aus-sich-heraus-Gemäre.

Harmlos?

Seite 173: Une race plus sage et plus puissante que la nôtre, heißt doch sogar in der deutschen Ausgabe: .. einer Rasse, die weiser und mächtiger war als die unsrige ..

In der Schlußpassage des Buches ist

adieu sauvages! adieu voyages! zu finden:

Adieu Wilde! Adieu Reisen!

Tat es das liebe Tier im Französischen wirklich nur des Reimes willen?

Doch kennen wir solche Peinlichkeiten auch von Heisenberg und Lorenz. Strauss nennt sich nicht St. John Perse und Tristes Tropiques sollte ja nicht die Anabase werden.

Es wurde zum Buch, das den Strukturalismus in Mode brachte.

Was sagt Lévi-Strauss zu seiner Methode?

Seite 50: J’ai appris que la vérité d’une situation ne se trouve pas dans son observation journalière, mais dans cette distillation patiente et fractionnée que l’équivoque du parfum m’invitait peut-être déjà mettre en pratique, sous la forme d’un calembour spontané, véhicule d’une leçon symbolique que je n’étais pas à même de formuler clairement.

Die deutsche Übersetzerin war geschickt genug, diese Aussage zu streichen.

Ich habe gelernt, daß sich die Wahrheit einer Situation nicht in ihrer täglichen Beobachtung findet, sondern in dieser geduldigen und immer wieder abgebrochenen Destillation, vielleicht lud mich die Zweideutigkeit des Parfüms schon ein, sie in der Form eines spontanen Kalauers, der das Vehikel einer symbolischen Lektion darstellt und den ich nicht einmal klar formulieren konnte, in die Praxis umzusetzen.

Seite 62: Comprendre consiste à réduire un type de réalité à un autre.

Verstehen besteht darin, einen Typus von Realität auf einen anderen zurückzuführen. –

Ich finde, diese Aussage hätte in der deutschen Ausgabe nicht fehlen dürfen, stellte sie doch – 1955 – nicht nur eine Rechtfertigung des französischen Kolonialismus dar und damit der Foltern in Algerien – sie bietet dem Kolonialismus eine ideale erkenntnistheoretische Grundlage und schafft den Meisterstreich fürs Poesiealbum, die Tortur auch noch als Bemühung um Verständnis auszugeben.

Die Tortur des französischen Universitätsbetriebes.

Die Tortur der Ethnologie.

Und allen Kolonialismus’.

Wußte Strauss das nicht?

Doch.

Nur eine Seite später finde ich:

Elle (l’ethnographie) tranquillise cet appétit inquiet et destructeur dont j’ai parlé, en garantissant à ma réflexion une matière pratiquement inépuisable fournie par la diversité des mœurs, des coutumes et des institutions.

Die Ethnographie beruhigt diesen unruhigen und zerstörerischen Appetit, von dem ich sprach, indem sie meiner Reflexion ein praktisch unerschöpfliches Material garantiert, welches durch die Verschiedenheit der Sitten, der Gebräuche und der Institutionen geliefert wird. –

Wie nannte George Bataille das Buch:

Menschlich.

Wenn ich davon absehe, daß Strauss hier Ethnographie und Ethnologie verwechselt, daß er die Gemeinheit begeht, jede Ethnographie auf ein solches faschistisches Muster festzulegen – auch Spieth, auch Frazer, auch Malinowski –, bleibt bestehen, daß Strauss, zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, von Völkern, Menschen aussagt, sie garantierten praktisch unerschöpfliches Material, das geliefert würde ..

Ein unruhiger und zerstörerischer Appetit.

Welches sind die Tatsachen, die einen Ethnographen machen?

Der Leser erfährt es auch in der deutschen Ausgabe auf Seite 199:

Ein Jahr nach dem Besuch bei den Bororo hatte ich sämtliche Bedingungen erfüllt, die aus mir einen Ethnographen machen sollten. Ich hatte den Segen von Lévy-Bruhl, Mauss und Rivet erhalten, hatte meine Sammlung in einer Galerie des Faubourg Saint-Honore ausgestellt, hatte Vorträge gehalten und Artikel geschrieben. –

Wohl nirgends entlarvt sich das Verhältnis der intelligentesten Nation der Welt zur Welt so wie hier in ihrem sensibelsten Wissenschaftler.

Seite 330 klittert die deutsche Fassung:

Aber bevor diese Kultur für immer verlöschen sollte, wartete meiner noch eine Überraschung,Im Original heißt es:

415: Pourtant, vers la fin de cette liquidation mélancolique de l’actif d’une culture mourante, une surprise m’était réservé.

Jedoch, gegen Ende dieser melancholischen Liquidierung der Aktiva einer sterbenden Kultur, war mir eine Überraschung vorbehalten. –

Ein Leichenfledderer, der unterhalten sein will.

Menschen als Aktiva einer Kultur melancholisch liquidieren.

Liquidieren, ich möchte darauf bestehen, heißt flüssig machen und hinrichten – es ist ein Terminus, der die zwölf Jahre des nationalsozialistischen Faschismus begleitet hat, und zwar in dem von Strauss wiedereingesetzten Doppelsinn.

Waren Strauss 1955 die Goldzähne von Auschwitz kein Begriff mehr?

 

Doch vielleicht läßt sich die Methode des Lévi-Strauss’schen Strukturalismus nicht durch solche kurzen Zitate zur Ethnographie erfassen, die man sich nach mehrmaliger Lektüre von Tristes Tropiques herausschreibt. Wo wird dies Verfahren zwischen “Feuilles de Route” und “Parties de Corps” zusammengefaßt, poetisch, wissenschaftlich oder privat?

Vielleicht Seite 61, wo er davon spricht, daß seine intellektuelle Entwicklung gefärbt wurde durch seine geologischen Interessen:

Que le miracle se produise, comme il arrive parfois; que, de part et d’autre de la secrète fêlure, surgissent côte à côte deux vertes plantes d’espêces différentes, dont chacune a choisi le sol le plus propice; et qu’au même mornent se devinent dans la roche deux ammonites aux involutions inégalement compliquées, attestant à leur manière un écart de quelques dizaines de millénaires: soudain l’espace et le temps se confondent: la diversité vivante de l’instant juxtapose et perpétue les âges.

La pensée et la sensibilité accèdent à une dimension nouvelle où chaque goutte de sueur, chaque flexion musculaire, chaque halètement deviennent autant de symboles d’une histoire dont mon corps reproduit le mouvemenl propre, en mêrne temps que ma pensée en embrasse la signification. Je me sens baigné par une intelligibilité plus dense, au sein de laquelle les siècles et les lieues se répondent et parlent des langages enfin réconciliés.

Ich verstehe nicht, warum die deutsche Ausgabe diesen konzisen Text zu Diachronie und Synchronie, diese Zusammenfassung der neuartigen Methode des Strukturalismus, dies Beispiel einer poetischen Anthropologie unterschlägt – warum Claude Lévi-Strauss es in einer gekürzten Fassung strich:

Auf daß das Wunder sich einstelle, wie es gelegentlich vorkommt; daß auf der einen und der anderen Seite der verborgenen Spalte, nebeneinander zwei grüne Pflanzen unterschiedlicher Art hervorsprießen, deren jede den ihr förderlichsten Boden gewählt hat; und daß im selben Augenblick sich im Felsen zwei Ammonshörner abzeichnen, mit verschieden komplizierten Einrollungen, die auf ihre Weise einen Zeitsprung von einigen zehntausend Jahren bezeugen: plötzlich schmelzen Raum und Zeit zusammen. Die lebendige Verschiedenheit des Augenblicks verlängert die Zeitfolgen und setzt sie nebeneinander. Denken und Empfindlichkeit erhalten Zugang zu einer neuen Dimension, wo jeder Schweißtropfen, jede Muskelbeugung, jedes Hecheln auch zum Symbol eines geschichtlichen Ablaufs werden, dessen Eigenbewegung mein Körper reproduziert, während zu gleicher Zeit mein Denken die Bedeutung davon umfaßt. Ich fühle mich in einer dichteren Intelligibilität gebadet, in deren Schoß die Jahrhunderte und die Meilen aufeinander antworten und endlich versöhnte Sprachen sprechen.

 

Es scheint mir ein faires Zitat zu sein.

Dennoch entlarvt es den Schreiber ebenso wie es ihn rechtfertigt.

Auch steht ein solches Axiom für wissenschaftliches Vorgehen immer leer herum, wie mathematische oder logistische Axiome auch.

Was sie wert sind, wird erst in der Praxis deutlich.

In der Praxis dieses Buches von Strauss heißt es wohl, daß er strukturalistischen Darstellung der Vorgänge in Brasilien die Lebensumstände von Asiaten heranzieht, daß er zum Verstehen der Strukturen der Bororo Südamerikas asiatische Geschichte einsichtig machen muß.

Das wäre allerdings eine Intelligibilité Nouvelle und Plus Dense.

Die Gefahr: Daß die Doppelsichtigkeit zum Schielen wird, daß die ethnographische Empirie ausmultscht zu Dr. Tigges Studien reisen und daß exakte Geschichtsforschung zu Panoramen à la Malraux verkommt.

Claude Lévi-Strauss’ Buch schrägt sich auf den letzten Seiten zu Aussagen hoch, deren Breite in keinem Verhältnis mehr zu ihrem Gewicht steht:

463: Man fühlt hier noch einmal die Schwierigkeit des Islam, die Einsamkeit gedanklich nachzuvollziehen.

466: Allumfassende Güte des Buddhismus, christlicher Wunsch des Dialogs, moslemische Intoleranz.

1955 geschrieben!

472: Der Mensch schöpft wirklich Großes nur zum Beginn.

473: Damals also verlor der Okzident seine Chance, Frau zu bleiben.

Resumées von 1955, die in der deutschen Ausgabe allesamt fehlen.

Wie immer, solche Folgerungen basieren oft auf zweifelhaften Prämissen.

Ungenauigkeiten finden sich auf jeder Seite des Buches.

Hier einige Beispiele:

Auf Seite 35:

Bertrand Goldschmidt ..

.. erklärte mir eines Abends das Prinzip der Atombombe und eröffnete mir, es war im Mai 1941, daß die wichtigsten Länder sich auf ein wissenschaftliches Wettrennen eingelassen hatten, das demjenigen den Sieg garantierte, der sich als erster einstufen würde.

Da wußte Strauss mehr als Bohr und Einstein.

Denn erst im November 1941 fuhr Nils Bohr mit der berühmten Flasche schweren Wassers von Kopenhagen nach Amerika, um Roosevelt vor der Atombombe der Deutschen zu warnen.

Heisenbergs Angebereien im besetzten Dänemark hatten Bohr fälschlich überzeugt, die Deutschen stünden unmittelbar vor dem Einsatz ihrer Atomwaffen.

Das atomare Wettrennen begann erst, nachdem Bohr die USA gewarnt hatte.

Aus der Luft gegriffen – und tendenziös – erscheinen die Zahlen, die Strauss auf Seite 81 über Haiti verbreitet und die kritiklos 1970 in der deutschen Ausgabe wiederholt werden:

Während die Eingeborenen der Insel Hispaniola .. von denen es im Jahre 1492 (also bei der Entdeckung durch Kolumbus) ungefähr hunderttausend, hundert Jahre später nur noch etwa zweihundert gab ..

Das “etwa” ist im Deutschen dazugedichtet.

Man hat sich im allgemeinen darauf geeinigt, die 3 Millionen Indianer, die Las Casas angibt für das Jahr der Entdeckung – auf eine Million zu reduzieren.

Doch in der neuesten und gründlichsten Geschichte Haitis von Heini schreibt der Autor:

Probably exaggerating, Bishop Bartolomé de las Casas put the Indian population at 3 million when Columbus came ..

In 1550 only 150 Caribs could be found.

Strauss reduziert die Urbevölkerung auf ein Dreißigstel dessen, was der von der spanischen Krone eingesetzte Las Casas feststellte – in 50 Jahren wurden über eine Million Indianer umgebracht und nicht, wie Strauss begötscht, in hundert Jahren weniger als 100 000.

Kann dies das Verfahren eines Wissenschaftlers sein in einem Buch über Indianer?

Seite 97 trifft Strauss strukturalistische Aussagen zum Städtebau:

.. im Jahre 1935 ließ sich die soziale Stellung des einzelnen sozusagen am Höhenmesser ablesen – sie war um so tiefer, je höher die Wohnung lag.

Eine elegante Folgerung – wenn sie nur fundiert werden könnte:

Es gibt in Rio jedoch das koloniale, bourgeoise Viertel von Santa Teresa, das Largo do Boticario, das Alto da Boa Vista – hochgelegen alle – eben vor Rio liegt in 300 Meter Höhe die reiche Bergstadt Petropolis, wo Kaiser Pedro II. seinen Sommersitz hatte.

Ungenauigkeiten und Ignoranz, in die sich Herablassung mischt:

58: In Brasilien, das mit Euclides da Cunha, Oswaldo Cruz, Chagas und Villa-Lobos wenige, jedoch glänzende Gelehrte hervorgebracht hat, sind Bildung und Wissen bis vor kurzem ein Spielzeug der Reichen gewesen.

Réussites individuelles steht im Original für “Gelehrte” – wenige?

Strauss unterschlägt die Namen Nina Rodrigues, Arthur Rarnos, Gilberto Freyre, Guimarães Rosa, Jorge Amado, Edison Carneiro etc.

La culture, wie im Original für Bildung und Wissenschaft steht – ein Spielzeug der Reichen?

Sind die Escolas de Samba keine Kultur, der Karnaval, der Candomblé, die Kirchenarchitektur, die brasilianische Musik – gilt Professor Strauss die Kultur des Volkes gar nichts?

Seite 62: Ich hoffe, daß jene meiner charmanten Schüler – heute meine Kollegen –, die einen Blick in dieses Buch werfen, mir nicht böse sein werden. Wenn ich an sie denke, so kommen mir nach ihrem eigenen Gebrauch ihre Vornamen in den Sinn, die in europäischen Ohren so seltsam barock klingen, in deren Vielfalt sich jedoch das Vorrecht der Väter ausdrückt, frei aus dem Üüberfluß einer uralten Geschichte zu wählen – Anita, Gorina, Zenaide, Lavinia, Thais, Gioconda, Gilda, Oneide, Lucilia, Zenith, Cecilia, Egon, Mario-Wagner, Nicanor, Ruy, Livio, James, Azor,Achilles, Decio, Euclides, Milton. Ich denke ohne jede Ironie an jene tastenden Anfänge zurück.

Was gibt Strauss das Recht, diese Namen ironisch anzuführen?

Dokumentiert er hier doch nichts andres als seine eigene Borniertheit und Unbelesenheit:

Seltsam barock? Anita? Egon? Ruy, James?

Kennt er nicht die nach dem Ersten Weltkrieg geschriebene Wiedergefundene Zeit von Proust?

Wie heißen die Verwandten und Bekannten des Monsieur de Charlus:

Hannibal de Bréauté.

Boson de Talleyrand.

Sosthène de Doudeauville.

Charlus selbst: Palamède.

64: .. in einem Land, in dem die Vielfalt der Rassen und das – wenigstens bis vor kurzem – fast völlige Fehlen von Vorurteilen zu Mischungen aller Art geführt haben.

Das ist die offizielle Sage.

Hat Claude Lévi-Strauss nie ein Hotelpapier ausgefüllt mit der Rubrik Cor – Farbe?

Hat er in den Zeitungen nicht die Stellenangebote gelesen, wo boa aparencia verlangt wird – helle Hautfarbe?

Wann wurde in Brasilien die Scheidung legalisiert?

Seite 79: Die Regenfälle des Winters würden die Baumstämme in fruchtbaren Humus verwandeln ..

Vielleicht ist ein Anthropologe einer genaueren Kenntnis der Ackerbaulehre enthoben – der Dichter Thomas Mann hat zur Landwirtschaft auch oft unsicher kompiliert doch dann sollte der Anthropologe sich auch der Aussagen über Humus enthalten.

Humusbildung ist ein sehr komplizierter mikrobiologischer Vorgang, der von der sogenannten Gare abhängig ist.

Nun gibt es sehr unterschiedliche Bedingungen, die Gare, also Humus fördern: Die Schattengare, die Hitzegare, die Frostgare, die Düngergare – das einzige, was es nie gibt, ist Regengare; Regen jeglicher Art verhindert nicht nur die Humusbildung, er schwemmt den Humus von den Böden weg.

Es ist möglicherweise von einem Humanwissenschaftler zuviel verlangt, die leichte Dreisatzaufgabe von Seite 166 richtig durchzuführen – doch wie ist es mit dem wissenschaftlichen Lektor von Plon bestellt?

Auf Seite 163 führt Strauss die Kenntnis sehr komplizierter geschlossener Systeme ohne Erfahrung ein:

Von einem orientalischen Bazar kennt man alles, ohne ihn besichtigt zu haben, außer zwei Sachen: Der Besucherdichte und dem Dreck. Weder die eine noch der andre sind vorstellbar. Man braucht die Erfahrung, um sie zu empfinden. –

Der Unsinn geht in die Lüge über, in den blanken Rassismus.Lévi-Strauss mag keine Schwulen, das dokumentiert er auf den Seiten 27, 52.

Seite 300 ist ihm kein Illustriertenwitz zu schade, um seiner Tendenz zu dienen:

Außerdem hatte mir der Bischof von Cuiaba einen seiner Schützlinge als Koch aufgedrängt; nach einigen Tagen sollten wir allerdings bemerken, daß es sich um einen veado branco, um ein “weißes Reh”, das heißt um einen Homosexuellen handelte, der derartig unter Hämorrhoiden litt, daß er kaum reiten konnte (218)

Ein menschliches Buch.

Es klingt richtig, wenn auch nicht neu, wenn Strauss ausruft:

Wer Mensch sagt, sagt Sprache, und wer Sprache sagt, sagt Gesellschaft. (450) Seine Aussagen über Brasilien beruhen auf einer Kenntnis des Portugiesischen, die in Frankreich wohl kaum von den Fachkollegen überprüft worden ist, die orthographischen Fehler, die bei Plon durchgehen, finden sich alle auch in der deutschen Ausgabe.

Eine individuelle Orthographie ist etwas Schöpferisches; wenn

der Strukturalist aber gallinha, assucar, favella stehenläßt, heißt dies, daß ihm die Struktur der portugiesischen Sprache verschlossen bleibt.

Im Gegensatz zu anderen romanischen Sprachen verdoppelt sie die Konsonanten nach einem kurzen Vokal nicht.

155: Auf diese Weise lernte ich die pittoreske Sprache des Sertão kennen, die zum Beispiel für unser Pronomen man eine ganze Sammlung von Ausdrücken zur Verfügung hat – homem Mensch oder Mann, camarada Kamerad, collega (sic! für colega auch in der deutschen Fassung) Kollege, negro Neger, tal dieser oder jener, fulano irgendeiner und so weiter.

Diese Ausdrücke sind nicht typisch für die Sprache des Sertão.

Sie werden von jedem Brasilianer benützt, ja, von jedem Portugiesen.

Mit einer solchen Beherrschung des Portugiesischen läßt sich Strauss die indianischen Sprachen übersetzen von Indianern, die meistens noch weniger Portugiesisch können als er.

111: Während unseres kurzen Aufenthaltes war es natürlich nicht möglich, die Sprache (Caduveo) zu lernen, obgleich das Portugiesisch unserer Gastgeber ziemlich dürftig war.

Strauss beherrscht auch kein Bororo:

159: Mit Hilfe von Zeichen erklärten wir ihnen, daß wir ihr Dorf besuchen wollten ..

237: Die deutsche Ausgabe schönt: .. machte ich mich deshalb daran, Nambikwara zu lernen.

Strauss gesteht im Original zu, daß es auch mit der Beherrschung dieser Sprache nicht weit her war:

318: J’apprenais donc un Nambikwara rudimentaire.

Und das Tupi-Kawahib?

Seite 299: Ohne die Sprache zu kennen und ohne über einen Dolmetscher zu verfügen, gelang es mir immerhin, gewisse soziale und intellektuelle Aspekte der Gruppe zu erfassen ..

Die Fehler der Ethnographen sind ihre Tugenden!

Seite 300: Die Indios, übersetzt Suzanne Heintz 1970, waren bereit, mir ihre Gebräuche und Vorstellungen zu erklären, aber ich kannte ihre Sprache nicht.

Eine der wenigen ehrlichen Aussagen Strauss’, die er aber zwanzig Zeilen später schon wieder poetisch weglügt:

So spreche also der Boden, in Ermangelung der Menschen, die sich verweigern?

Die Indianer hätten sich verweigert? Lévi-Strauss war zu faul, ihre Sprache zu lernen.

Suzanne Heintz hat das gespürt und im Hinblick auf die Vertriebsabteilung des Kiepenheuer Verlages übersetzt:

So will ich in Ermanglung der Menschen, die ich nicht verstand, die Erde sprechen lassen.

Trotz dieses Sachverhaltes sagt Strauss auf Seite 329: Die Frauen denken sich als eine Kollektivität.

Ich möchte die Methode wissen, wie man, ohne eine Sprache zu beherrschen, über Gedanken in diesem Sprachbereich etwas Stichhaltiges äußern kann.

Es ist die gleiche Methode, die junge Strukturalisten und Psycho logen im Senegal in Stand setzt, Aussagen über den Ödipuskomplex zu fällen, ohne auch nur eine einzige afrikanische Sprache zu verstehen. Dies Unverständnis ermächtigt die Strukturalisten und Psychologen aber auf der anderen Seite, täglich Hunderte von Elektroschocks ohne die primitivsten medizinischen Vorsichtsmaßregeln auf den Fluren von Krankenhäusern durchzuführen.

 

Das gestörte Verhältnis von Homme und Langage, von Language und Societé geht bis ins Französische.

Ich meine nicht die geschwollenen Passé Simples:

Nous fûmes reduits.

Nous roulâmes, die man auch 1955 nur noch in Sottisen verwenden konnte – oder die aufspleißende Art, Prozesse in Sprache umzusetzen:

.. sauterelles, qu’ils avaient passé la journée entière à recolter.

Das ist Aktenfranzösisch, wie vieles andre auch.

Ich meine logische Probleme:

314: .. paraît à peine croyable ..:

etwas erscheint so oder so

etwas ist kaum glaublich.

Eine “kaum glaublich erscheinende” Tatsache ist eine quasi syntaktische Aussage, eine Wortvogelscheuche.

Die wiederholte Verwechslung von sociologique und social – der in Deutschland die häufige  erwechslung von psychisch und psychologisch parallel läuft – führt bei Strauss zu einer interessanten Aussage:

Seite 261 korrigiert die deutsche Übersetzung zu Recht den Autor:

Sie, die Nambikwara, hatten die Symbole übernommen, ohne deren Bedeutung zu verstehen, und dies eher im Hinblick auf ein soziales als auf ein intellektuelles Ziel.Lévi-Strauss aber setzt im Original:

– und dies im Hinblick auf ein soziologisches Ziel.

Das führt im Original zu dem ungeheuerlichen Geständnis:

Sie hatten die Symbole übernommen, ohne deren Bedeutung zu verstehen, und dies eher im Hinblick auf ein soziologisches als auf ein intellektuelles Ziel. So handelte es sich offensichtlich nicht darum, zu wissen, zu behalten und zu verstehen, sondern darum, Prestige und Autorität eines einzelnen – oder einer Funktion – zu vergrößern.

Wer übernimmt hier Wörter, also Symbole, ohne deren Bedeutung zu verstehen?

Wo hätte sich die Soziologie, und groteskerweise durch die Mechanismen der Freud’schen Analyse, deutlicher erklärt als hier?

 

Unbedachte, unbedeutsame Adjektive füllen das ganze Buch:

Der Corps ist robuste,

die Stimme rauh oder melodiös,

der Brief aufmerksam und diskret,

der conseiller déférent oder glacial,

die gèste navré,

die Haltung liebenswürdig,

die Haltung diskret und zuvorkommend,

der Blick freundschaftlich,

die Schüler sind charmante,

die Resolution virile,

die gravité charmante,

die fratenité discrète,

der conservatisme remarquable,

der Aspekt charakteristisch,

die Geister verführerisch und poetisch,

der Fluß ist lachend,

die Woche angenehm,

die Eingeborenen sind graziös,

und die Durchfahrt ist exaltant ..

und weiter so auf jeder Seite.

 

Doch dies Nichtssagende bereitet ein anderes Sprachverhalten vor:

Triste sollten die Tropen doch sein, aber sie werden das Buch hindurch nicht auf Elend hin analysiert, die Mechanismen der Trauer des Autors werden nicht aufgezeichnet – das Triste wird mittels Wortfetischen einsuggeriert:

Die Erinnerungen sind armselig (14).

Die Eingeborenen sehr dreckig und schlecht rasiert (34).

Ein Stamm ist auf eine Handvoll elender Entwurzelter reduziert (39).

Die Allerärmsten drängten sich zuoberst auf den morros zusammen, in den favellas (sic!), wo die Negerbevölkerung in immer frisch gewaschene Lumpen gehüllt auf der Guitarre jene fröhlichen Melodien erfand, die zur Zeit des Karnevals von den Höhen herunterklangen und die Stadt mit fröhlichen Rhythmen überschwemmten.

Die deutsche Übersetzung verwischt geschickt den Rassismus und den Paternalismus dieser Schilderung:

Strauss schreibt:

Miséreux – arme Teufel.

Noirs – Schwarze.

Lessiver – spülen, statt laver – waschen.

Er war nie in einer Favela und hat die horrende Eleganz beobachtet, mit der sich die Afroamerikaner von Rio kleiden!

Doch Strauss sieht nur Bevölkerungen, die, von Malaria und Hakenwürmern unterminiert, verlöschen (128).

Lumpige Bauern (129).

Leben in einem Taschentuch (159).

Fischereiverfahren, die kärglich von den Weißen imitiert wurden (197).

Miserable Weiler (197).

Lumpige Bauern (202).

Keine echte Fröhlichkeit (241).

Armselige Gegenstände (335).

Lächerliche Mittel (354).

Erbärmliche Persönlichkeiten (421).

Und ich trieb mich derweil in der Wüste herum, um irgendwelchen Überresten fremder Völker nachzujagen (347), übersetzt Suzanne Heintz, was dem Original nach heißt: um dem Abfall der Menschheit nachzujagen.

 

Gelegentlich werden in dem Text die Störungen deutlich, die zu einer solchen Härte der Aussage führen.

Wer Bienen sagt, sagt Honig (216) ..

Und was hat Claude Lévi-Strauss mit den verschiedenen Sorten des Urwaldhonigs gemacht?

J ’en ai recensé treize (307) – Er ißt ihn nicht, er schmeckt ihn nicht.

Honig wird in der Nachfolge von Marcel Mauss “rezensiert”.

Parfums s’analysent en plusieurs temps (307) – Gerüche werden nicht gerochen, sondern in mehreren Phasen analysiert.

Wenn er Fleisch ißt, verschlingt er kein Bruststück, keine Keule – chacun en devora und bonne livre –, er verschlingt ein gutes Pfund (370).

Perroquet rôti et flambé au whisky – Papagei mit Whisky abgebrannt, ist nur eine andre Facette der selben Unempfindlichkeit.

Strauss bleibt Professor, Vertreter der Grande Nation auch im Urwald.

Mon chauffeur (235).

Mir bleiben nur 12 Rinder (371).

Mein Truppenchef.

Ich habe mich von einem Teil meiner Truppe entfernt (388).

Ein halbes Jahrhundert brasilianischer Geschichte, zu kurz, um dem Urteil unserer tausendjährigen Gesellschaften dienen zu können (107).

Die Extravaganzen des Stils von 1890 sind zum Teil entschuldbar durch das Gewicht und die Dichte des Materials (108).

Architekturen treten bei Strauss zur Entschuldigung an.

Den Malern von Florenz hält er vor, daß sie genau das gemacht hätten, was man nicht hätte machen dürfen (472).

 

Doch nicht immer verbirgt sich die Brutalität hinter Mitleid, Herablassung und Dünkel:

Seite 179: Quelle difficulté pour se procurer ces pauvres objets! La distribution préalable .. de nos bagues, colliers et broches de verroterie est parfois insuffisante pour établir l’indispensable contact amical. – übersetzt Suzanne Heintz, um das Buch auch 1970 noch verkäuflich zu machen: Welche Schwierigkeiten aber türmten sich auf, wenn man einen dieser armseligen Gegenstände kaufen wollte. Die Verteilung all unserer Glaswaren unter die Mitglieder der betreffenden Familie, all unserer Ringe, Halsketten und Broschen, genügte bei weitem nicht immer, um den so unerläßlichen freundschaftlichen Kontakt herzustellen.

Die “all”, “bei weitem”, “so” hat die Übersetzerin dazugedichtet. Im Original sagt der Satz mit ganzer Härte:

Die vorhergehende Verteilung unserer Ringe, Halsketten und Broschen aus Glas an die ganze Familie ist manchmal ungenügend, um den unerläßlichen freundschaftlichen Kontakt herzustellen.

Auf derselben Seite:

On se sent honteux d’arracher à ces hommes si dépourvus un petit outil dont la perte sera une irréparable diminution.

ln der deutschen Nachdichtung:

Man schämte sich im Grunde, diesen armseligen Leuten etwas zu entlocken, das sie vielleicht nie wieder ersetzen konnten.

Da steht etwas andres:

Man war beschämt, diesen bedürftigen Menschen ein kleines Werkzeug zu entreißen, dessen Verlust eine irreparable Verminderung sein würde.

 

Strauss ist ebenso kokett wie zynisch.

Was tut er, einer wissenschaftlichen Erfahrung zuliebe?

96: Ein fiebriger Indianer, den wir allein in einem verlassenen Dorf antrafen, schien uns eine leichte Beute zu sein. Wir würden ihm die Hacke in die Hand drücken, ihn ein wenig schütteln und stoßen. Leider half dies gar nichts, denn er schien überhaupt nicht zu verstehen, was wir von ihm wollten. Sollten wir unser Ziel wieder nicht erreichen? Wir beschlossen unsere letzte Karte auszuspielen und ihm zu erklären, daß wir selbst koro essen wollten. Da gelang es uns endlich, das Opfer zu einem Baumstamm zu schleppen.

Das Original geht ohne Konditionalis vor, auch wird der Indianer nicht ein wenig geschüttelt.

Man drückt ihm die Axt in die Hand, man schüttelt ihn, man stößt ihn.

Es sind die Verhaltensweisen der nationalsozialistischen Besetzung in Frankreich, die Strauss durch seinen Aufenthalt in New York floh.

 

Seite 256 beginnt eine etwas längere Erzählung:

Wenigstens gelang es mir, meine Freunde von Utiarity zu überreden, mich in ihr Dorf mitzunehmen und dort eine Art Treffen mit anderen verwandten oder alliierten Gruppen zu veranstalten ..

.. er stellte einzig die Bedingung, daß wir einen Teil des Gepäcks zurücklassen und nur wer Ochsen mitnehmen sollten, um die Geschenke zu tragen.

Diese im Grunde ziemlich gefahrvolle Reise ist mir als groteske Episode in Erinnerung geblieben. Kaum hatten wir Juruena verlassen, als mich mein brasilianischer Kollege auf die Abwesenheit von Frauen und Kindern aufmerksam machte; in der Tat waren es nur die mit Bogen und Pfeilen bewaffneten Männer, die uns begleiteten. Gemäß der Reiseliteratur lassen solche Umstände auf einen sofortigen Angriff schließen. Wir setzten unseren Weg daher mit gemischten Gefühlen fort und versicherten uns von Zeit zu Zeit, ob unsere Revolver Smith und Wesson – was unsere Leute als Cemite Vechetone aussprachen – und unsere Karabiner griffbereit lagen.

 

Freunde Freunden gegenüber.

Das empörende Verhalten des Anthropologen soll durch Verniedlichung vertuscht werden, durch die schulterklopfende Anmerkung über die schlechte Aussprache des Englischen durch Brasilianer.

Später gibt es nichts zu essen:

Die Indios – Frau Heintz übersetzt das wertfreie les indiens immer mit dem rassistischen Indios – Die Indios hatten sich darauf verlassen, daß wir Wild finden würden, weshalb sie nichts mitgenommen hatten; wir selbst verfügten nur über unsere Notrationen, die natürlich nicht für alle reichten.

Im Original steht:

Es war unmöglich, sie unter alle aufzuteilen.

Seite 62: und selten gehe ich daran, ein Problem der Soziologie oder der Ethnologie zu lösen, ohne zuvor meine Reflexionen durch einige Seiten (Marx) aus dem 18. Brumaire des Louis Bonaparte oder der Kritik der politischen Ökonomie zu beleben.

Der Führer des Indianerstammes hat ein anderes sozialistisches Bewußtsein:

Dieser verschwand denn auch in Gesellschaft einer seiner Frauen; am Abend kehrten beide zurück, den schweren Tragkorb bis zum Rand mit Heuschrecken gefüllt, die sie den ganzen Tag lang gesammelt hatten. Obgleich die Heuschrecken keine sehr begehrte Nahrung darstellen, fiel doch jedermann mit großem Appetit über das Essen her und fand seine gute Laune wieder ..

Die Geschichte endet mit einer Liste:

Die Liste der Gegenstände, die ich gegen die Geschenke der Indianer

eintauschen sollte. –

Böse Indianer.

Traurige Tropen.

Vier Ochsen mit Geschenken belädt Strauss, die Indianer tun aber nur so, als schenkten sie. In Wirklichkeit erwarten sie Gegenstände von der schenkenden Tugend des Europäers.

Suzanne Heintz hat das Ausmaß dieser Heuchelei genau erkannt und mildert es in der Übersetzung:

.. die Liste der Gegenstände.. die ich gegen die Geschenke der Indios eintauschen wollte.

Seite 200 kann man Strauss beim Einkäufen in Paris beobachten:

Da die Indios ihren Bindfaden mit Urucu zu färben pflegen, wählte ich ebenfalls einen roten, grob gezwirnten Faden, der ein handwerkliches Aussehen bewahrte. –

Mit der Gabe künstlich primitiv verfertigten Garns will er wertvolle Gegenstände der Indianer ergaunern und versaut damit noch ihr Stilempfinden, in seinem Bericht darüber schiebt er den Indianern aber Besitzgier unter.

Es ist das gleiche Verfahren, das er benützt, wenn er sich über den Mangel an Revolte bei den Indern beschwert oder wenn er seine mangelnde Sprachkenntnis den Indianern zur Last legt.

Auf Seite 21 steht:

.. je me sentais déjà gibier de camp de concentration ..

Es gibt im Französischen den Ausdruck gibier de potence, den man wohl mit Galgenvogel übersetzt, genau heißt es Galgenwild.

Gibier de potence wird in einer gelassenen, seigneurialen Situation geäußert, es ist schulterklopfend.

Gibier de camp de concentration.

KZ-Vogel.

Auf Seite 42 steht:

Pauvre gibier, pris aux pièges de la civilisation mécanique, sauvages de la forêt amazonienne, tendres et impuissantes victimes, je peux me résigner à comprendre le destin qui vous anéantit ..

Armes Wild, gefangen in den Fallen der mechanischen Zivilisation, Wilde des amazonischen Waldes, zart und machtlos, ich kann resignieren und das Schicksal verstehen, das euch vernichtet ..

Noch ein rhetorisches Anzweifeln der Unmenschlichkeit, welche die Indianer ausrottet, dann aber doch die Einsicht in den Lauf der Dinge, in das Recht des Stärkeren etc.

Die Bezeichnung Pauvre gibier, armes Wild, arme Hühnchen, hatte die Indianer ja schon zu Beginn des Absatzes verdammt und ausgeliefert.

Seite 144:

Nie ohne Zweifel – außer in den Konzentrationslagern – hat man bis zu diesem Grade die Menschen mit Schlachtfleisch verwechselt ..

als in Indien:

als in der bitteren Verkaufsausstellung, in der das volkstümliche religiöse Leben in Indien abläuft. –

Nicht der Kolonialismus und seine Folgen sind in Indien KZ-artig, sondern die Volksreligionen! Sie verwechseln Menschen mit Schlachtfleisch.

Seite 377:

II suffit d’une balle dans leurs troupes bondissantes (de singes) pour abattre à coup prèsque sûr une piéce de ce gibier; rôtie elle devient une momie d’enfant aux maitis crispées, et offre en ragoût la saveur de l’oie.

Man braucht nur eine Kugel in die hüpfenden Gruppen der Affen hineinzuschießen, um mit ziemlicher Sicherheit ein Stück dieses Wildes zu schlagen; gebraten wird es eine Kindermumie mit zusammengeschrumpften Händen und bietet als Ragout den genußvollen Geschmack der Gans.

Une pièce de ce gibier.

Gibier de camp de concentration.

Indiens, pauvre gibier.

Momie d’enfant.

Die indischen Volksreligionen verwechseln Menschen mit Schlachtfleisch, wie es auch in den KZs geschah!

 

Seite 370:

Oder, wenn eine Bande von Eingeborenen vorbeikommt, etabliert sich eine andre Routine, Zählen, Namen der Körperpartien, Verwandtschaftsbezeichnungen, Genealogien, Inventar ..

Es ist die Routine eines Lagerleiters.

 

Seite 112:

Unsere Freunde waren nicht wirklich Personen, sondern eher Funktionen.

Seite 152:

Comment donc ne pas emporter et .. ne pas les traiter en bêtes, puisqu’ils vous contraignent à les considérer tels par cette déraison qui est la leur?Lévi-Strauss spricht von den rickshaw boys:

Man kann nicht anders, als die Geduld verlieren und sie als Tiere behandeln, weil sie Sie dazu zwingen durch diese Unvernunft, die ihnen eigen ist.

 

Nicht der die Unmenschlichkeit hervorruft, ist der Schuldige, sondern der sie erleidet:

Seite 153:

Und ich kann nicht widerstehen, wenn ich auch etwas Scham dabei empfinde, diese Flüchtlinge, die ich den ganzen Tag von den Fenstern meines Palastes aus an der Tür des Premierministers seufzen und weinen höre, anstatt uns aus unseren Zimmern zu verjagen, in denen mehrere Familien wohnen könnten, mit den schwarzen Raben mit grauer Gesichtszeichnung zu vergleichen, die ohne Unterlaß in den Bäumen von Karachi krächzen.

 

Ein aufrührerisches, ein selbstanklagendes Air!

Dabei ist es die größte Gemeinheit, wenn man aus einer uneinnehmbaren Position heraus den handlungsunfähigen Elenden vorwirft: Ihr seid so erbärmlich, daß ihr euch nicht einmal gegen mich auflehnt.

Ist auch nur die Einsicht ehrlich: Wenn es vernünftig zuginge, lebten in meinem Palastzimmer mehrere Familien!?

Seite 455 kann man lesen, wie er reagiert, wenn Inder auf ihrem Recht bestehen.

Er drängt sich – officiel et urgent – in das einzige Abteil Erster Klasse und zwingt eine Familie zur Trennung.

 

Viele der zitierten Passagen scheinen in einer Art Trance verfaßt, in einem Zwitschern, wie wir es auch bei Sartre, Malraux, Claudel, Jünger und vielen anderen beobachten können.

Intime, nette, humorige Passagen schrecken mich, wie auch bei Lorenz, mehr; in einer weniger überreizten Schreibsituation muß er doch eher beim Wort genommen werden können:

Seite 29:

Je suis tout occupé à photographier des détails d’architecture, poursuivi de place en place par une bande de négrillons à demi nus qui me supplient: tira o retrato! tira o retrato! (“Fais-nous une photo!”) A la fin, touche par une mendicite si gracieuse – une photo qu’ils ne verraient jamais plutôt que quelques sous – j’accepte d’exposer un cliché pour contenter les enfants.

Der Ethnograph ist gänzlich damit beschäftigt, Details von Architektur aufzunehmen – also in einer sehr diffizilen beruflichen Spezialisierung zu dilettieren (was bei seiner touristischen Knipserei herauskommt, kann man in der französischen Ausgabe mit Untertiteln beurteilen: “Zarter Streit..” “.. und freundschaftliche Kämpfe.” “Die Träumerin”.), als er verfolgt wird von einer Bandevon kleinen Afroamerikanern; Strauss wählt den Aus druck der Sklavenhändler négrillons. Sie sind halbnackt und flehenihn an: Machen Sie ein Porträtfoto von uns. Sie haben sicher nicht falsch Tira o retrato gesagt, sondern logisch richtig Tira um retrato, und das heißt so oder so eben nicht: Mach ein Foto für uns. Sie denken nicht an den Besitz. Auch ist kein Negerjunge von Bahia so dumm, daß er vor der Erfindung von Polaroid angenommen hätte, er könnte dies Foto noch besitzen.

Sie wollten vielleicht nur für würdig befunden werden, ihre Stadt zu repräsentieren.

Endlich ist der konzentriert arbeitende europäische Wissenschaftler berührt von einer so graziösen Bettelei.

Graziös deshalb, weil sie einige Geldstücke ja in Händen halten könnten. Negerkinder betteln von vorneherein. Sie haben gemeinhin nur Sinn für das, was sie anfassen können.

Er findet sich also bereit, ein Cliché zu belichten, um die Kinder zu befriedigen.

Hat Strauss sich nie Gedanken gemacht, was ein Negerkind von Bahia unter der Diktatur von Getulio Vargas befriedigt?

 

Die Unmenschlichkeit dieses Verhaltens und dieser Aussagen wird nur übertroffen durch die Strategien des Verschweigens – im Buch von 1955 und in der deutschen Ausgabe von 1970.

Gontram de Veiga Jardim, der im Jahre 1968 eine Serie über Indianer im brasilianischen Correio de Manha veröffentlichte, stellte fest:

In den vergangenen dreißig Jahren ist an den Indianern ein Völkermord ohnegleichen begangen worden.

Man jagte sie mit Bluthunden, tötete sie vom Flugzeug aus, vergiftete die ihnen bestimmten Nahrungsmittel mit Arsen, infizierte ihre Kleider, ließ die Indianer verhungern, rottete sie mit Napalm aus, spritzte ihnen statt Serum Pockenerreger ein, man schlug sie mit Macheten in Stücke.

Die Nambikwara sind heute ausgerottet. Die Bororo arbeiten als Sklaven auf den Fazendas.

Möglicherweise bin ich dem Theoretiker Strauss ungerecht gegenüber, vielleicht sind seine abstrakten Schriften humaner, präziser, fundierter. Ich möchte nicht verhehlen, daß mir nach einer ersten Lektüre auch da manches als geblähter Stuß erschien.

 

Ist es nicht schamlos, wenn ein Schriftsteller einen anderen derart zaust?

Sicher.

Was hat mir Claude Lévi-Strauss getan?

Aber was hat Lévi-Strauss getan, um seine Aussagen über die Indianer Brasiliens zu modifizieren?

So wurde das Buch Tristes Tropiques zum Ausgangspunkt für eine neue Geschwollenheit, Wehleidigkeit, Brutalität, die beide kennzeichnen, Dichtung und Wissenschaft der siebziger Jahre.

[S. 319–351]